Erzählcafés im Tessin: Wo Worte Nähe aufbauen

05.12.2025

Im Tessin entstehen seit einiger Zeit besondere Begegnungsräume, die mehr sind als eine Tasse Kaffee und ein paar Minuten Gespräch. Die Erzählcafés, getragen von verschiedenen Tageszentren im Kanton in Zusammenarbeit mit dem Netzwerk Erzählcafé, schaffen Begegnungen, die bleiben. Und sie zeigen, wie kraftvoll Erzählen und Zuhören sein kann.

Von Valentina Pallucca

Ein Erzählcafé ist kein Vortrag, kein Bühnenauftritt und kein Wettbewerb um die interessanteste Lebensgeschichte. Es ist ein runder Tisch, an dem Menschen zusammenkommen, die sich oft nie zuvor begegnet sind – und die doch rasch merken, dass sie mehr verbindet, als sie trennt. Es gibt keine Mikrofone, keine Bühne und keine Urteile: nur Zuhören, Respekt und Neugier. Moderiert wird zurückhaltend, gerade so viel, dass ein sicherer, respektvoller Rahmen entsteht. Die Geschichten sollen natürlich fliessen dürfen.

Viele berichten nach einem solchen Anlass, sie hätten überraschende Gemeinsamkeiten entdeckt oder seien mit neuen Perspektiven nach Hause gegangen. Manche erzählen sogar von Freundschaften, die im Erzählcafé ihren Anfang nahmen und später weitergewachsen sind. Und selbst wer nur zuhören möchte, ist ein wichtiger Teil des Ganzen. Gerade in einer hektischen Welt schaffen diese ruhigen Gesprächsräume eine Nähe, die sonst leicht verloren geht.

Ein gemeinschaftliches Engagement im Tessin

Dass die Tessiner Tageszentren die Initiative mit Begeisterung unterstützen, hat gute Gründe. Seit Jahren setzen sie sich dafür ein, soziale Teilhabe, Dialog und ein Gefühl von Verbundenheit zu ermöglichen – auch für Menschen mit moderatem Unterstützungsbedarf. Die Erzählcafés passen ideal in diesen Auftrag: Sie fördern Wohlbefinden, regen den Austausch an und stärken das Gefühl, gesehen und gehört zu werden. Nicht zuletzt deshalb werden sie auch vom kantonalen Gesundheitsamt im Rahmen des Aktionsprogramms von Gesundheitsförderung Schweiz 2025–2028 unterstützt – ein deutliches Zeichen für die Bedeutung niedrigschwelliger, gemeinschaftsfördernder Angebote im Kanton.

«Il filo che ci unisce» – ein Faden, der verbindet

Der aktuelle Veranstaltungszyklus trägt den Titel «Il filo che ci unisce» (der Faden, der uns verbindet). Jede Runde widmet sich einem anderen Thema, das Erinnerungen anstösst und Gespräche öffnet. Die Treffen stehen allen offen, nicht nur den Besuchenden der Tageszentren. Genau diese Durchmischung macht den besonderen Reiz aus: Wenn verschiedene Generationen, Biografien und Lebenswelten zusammenkommen, entsteht ein Gewebe aus Geschichten, das weit über den Anlass hinauswirkt.

Moderation, die Vertrauen schafft

Damit diese Räume gelingen, braucht es Menschen, die einfühlsam moderieren – präsent, aber nicht dominant. Im Dezember findet im Tageszentrum Casa Andreina in Lugano ein Einführungskurs statt, in dem Interessierte lernen, wie man Gesprächsrunden begleitet und eine Atmosphäre schafft, in der sich Menschen öffnen können.

Geschichten, die uns zusammenhalten

Wer an einem Erzählcafé teilnimmt, nimmt immer etwas mit: einen Satz, der nachhallt, ein gemeinsames Lachen, ein Wiedererkennen. Oder die stille Gewissheit, mit den eigenen Erinnerungen und Gedanken nicht allein zu sein. Eine Aussage aus dem Kreis der Teilnehmenden fasst es eindrücklich zusammen: «Le storie non solo si raccontano: si intrecciano e ci tengono uniti.» (Geschichten werden nicht nur erzählt – sie verweben sich, und sie halten uns zusammen).

Fernsehbeitrag: Ein lebendiger Einblick in die Arbeit des Netzwerks Erzählcafé im Tessin gibt die Sendung von Radiotelevisione Svizzera Italiana RSI.