Inspirierendes Erzählcafé im Gassencafé Sunestube: Geteiltes Leid ist halbes Leid

16.12.2019

Nicht immer läuft im Leben alles rund. Menschen fallen durch die Maschen, verlieren ihren Job, die Wohnung, ihr soziales Umfeld. Das neue Erzählcafé im Gassencafé Sunestube sorgt dafür, dass Menschen, die auf den Gassen Zürichs leben, in einem vertraulichen Rahmen von ihren Erlebnissen erzählen können.

Die Stiftung Sozialwerk Pfarrer Sieber in Zürich ist eine Anlaufstelle für Menschen in Not. Im Gassencafé Sunestube finden diese ein warmes Wohnzimmer, eine gute Mahlzeit, Raum für soziales Kontakte und Unterstützung. Seit kurzem trifft man sich dort regelmässig zum Erzählcafé.

Der Funke sprang sofort über

«Alles begann damit, dass eine unserer Mitarbeiterinnen den Informationsanlass des Netzwerks Erzählcafé besuchte und begeistert zurückkam. Sie fand die Idee, ein solches Format mit den Gästen der Sunestube auszuprobieren, äusserst verlockend», erzählt Christine Diethelm, Leiterin des Gassencafé Sunestube und Gassenarbeit. Begeistert habe die Mitarbeiterin das Gehörte im Team präsentiert. Der Funke sprang sofort über. «Unsere Stiftung ist geprägt von Werten wie Wertschätzung, sich auf Augenhöhe begegnen und Menschenwürde. Diese Werte widerspiegeln sich in der Haltung des Miteinander eines Erzählcafés», sagt Diethelm. Und da die Stiftung immer wieder auf der Suche nach neuen Möglichkeiten sei, die Gäste mit in die Gemeinschaft einzubinden, sei die Freude an der Umsetzung sofort da gewesen.

Kraft, die zum Leben ermutigt

Sich in einer Gemeinschaft eingebunden zu fühlen, ist laut Diethelm ein Grundbedürfnis des Menschen. «Wer mehrheitlich am empfangenden Ende einer Unterstützung ist, hat es schwer, denn es belastet das Gemüt. Umso wichtiger ist es, sich auszutauschen.» Sie ist überzeugt, dass das Erzählcafé eine geniale Möglichkeit sei, um Erlebtes in einem vertraulichen Rahmen zu erzählen. Diethelm: «Die eigene Geschichte bekommt einen wertschätzenden Raum. Und im respektvollen Zuhören liegt eine Kraft, die zum Leben ermutigt.»

Die Menschen, deren Lebensmittelpunkt die Gassen Zürichs sind, schätzen das Erzählcafé. Sie kommen, reden über ein Alltagsthema, erzählen von persönlichen Erlebnissen und trinken zusammen einen Kaffee. «Man merkt, wie die Teilnehmenden erstaunt und berührt sind, zu hören, welche Erfahrungen andere zu einem Thema gemacht haben», so Diethelm. «Wir sind immer wieder erstaunt über die Fülle an Erfahrungen, die beim Erzählen zum Vorschein kommen – und wie unsere Gäste sich auch schwierigen Erfahrungen stellen.»

Einblick in bewegte Biographien

Die Leiterin der Sunestube nennt ein Beispiel: «Eine Frau erzählte ihre sehr persönlichen Erlebnisse aus der Kindheit und Jugend. Sie kommt aus schwierigsten Verhältnissen und wurde als Jugendliche bereits mehrmals Mutter. Ihre Erzählungen haben auch uns als Team geholfen, ihr Verhalten in der Gemeinschaft besser zu verstehen und dementsprechend für sie da zu sein.»

Wird an einem Erzählcafé in der Sunestube auch mal gelacht? Ja, sagt Diethelm und schmunzelt. «Ich staune immer wieder, wie humorvoll unsere Gäste trotz traumatischer Vergangenheit und schwierigen Lebensumständen unterwegs sind.» Der gegenseitige Respekt an einem Erzählcafé helfe, von schweren Erlebnissen plötzlich zu ermutigenden oder sogar lustigen Momenten zu wechseln.

Im Gassencafé Sunestube in Zürich sind alle Menschen willkommen (Foto: Sozialwerk Pfarrer Sieber).

Über das Gassencafé Sunestube

Die Stiftung Sozialwerk Pfarrer Sieber wurde 1988 von Pfarrer Ernst Sieber gegründet. Bis zu seinem Tod im Jahr 2018 kämpfte er gegen das Drogenelend in Zürich und für die Versorgung von randständigen Menschen. Die Stiftung finanziert sich aus Leistungen von Krankenkassen und Sozialämtern sowie Spenden, Erbschaften und Legaten. Neben dem Gassencafé betreibt sie mehrere Notschlafstellen, Wohngruppen, einen Gassentierarzt, eine Sozialberatung und eine Anlaufstelle, wo Bedürftige Kleider und Essen beziehen können. Das Gassencafé zählte im letzten Jahr 22’817 Besuche. Dort können Menschen verweilen, eine einfache Mahlzeit essen und die Gesellschaft anderer geniessen.

 

Reportage: Anina Torrado Lara
Foto: Sozialwerk Pfarrer Sieber