Projekt Con-tatto im Tessin: Begegnungen, die berühren
Die Idee zum Projekt Con-tatto stammt von Lorenza Campana, einer Freiwilligen bei zwei Projekten des Migros-Kulturprozent: Netzwerk Erzählcafé und TiM – Tandem im Museum. Lorenza’s Idee war es, diese beiden Projekte zu verbinden und so einen inklusiven Nachmittag zu realisieren. Die Stiftung Lindenberg zeigte zu dieser Zeit eine Ausstellung von Skulpturen der Tessiner Künstlerin Veronica Branca Masa unter dem Titel «Frammento infinito».
Artikel: Valentina Pallucca Forte und Lorenza Campana
- Wie kam es zum Erzählcafé?
Lorenza hatte folgende Idee: ein Nachmittag, an dem blinde/sehbehinderte Menschen und sehende Personen im Rahmen einer taktilen Besichtigung des Museums dieselben Empfindungen erleben können. Wir hatten das Privileg, die Skulpturen anfassen zu dürfen und die Bildhauerin dabeizuhaben, die mit Anekdoten und Geschichten über ihre Werke einen wichtigen Beitrag zu diesem Nachmittag leistete. Damit alle Teilnehmenden dieselbe Erfahrung machen konnten, erhielten die sehenden Personen verdunkelnde Augenmasken. Nach diesem taktilen Erlebnis wurde ein Erzählcafé zum Thema «Kontakt» durchgeführt.
An der Organisation der Veranstaltung waren diverse Akteur*innen beteiligt: das Netzwerk Erzählcafé, TiM, die Tagesstätte Casa Andreina und die Stiftung Lindenberg. «Das Ergebnis war ein unbekümmerter und bereichernder Nachmittag für alle, ein Erlebnis, das sich zu wiederholen holt», sagt Lorenza Campana.
- Welches Thema habt ihr gewählt?
Wir haben das Thema «Con-tatto» gewählt, weil das Wortspiel einerseits den Kontakt mit einer Oberfläche («contatto», zu Deutsch «Kontakt») und andererseits das Verwenden des Tastsinns («con il tatto», zu Deutsch «mit dem Tastsinn»), aber auch den respektvollen Umgang mit den Mitmenschen («con tatto», zu Deutsch «taktvoll») bedeutet. Wir wollten die Teilnehmenden dazu ermutigen, von ihren persönlichen Erfahrungen mit Berührungen und Kontakten zu erzählen. Wie haben sie sich im Laufe der Jahre und in Zeiten von COVID verändert? Wie haben sie dafür gesorgt, Kontakte auch während der Pandemie aufrechtzuerhalten? Welcher Kontakt ist ihnen besonders wichtig, und wie hat er ihr Leben verändert?
Da das Erzählcafé nach der Museumsbesichtigung stattgefunden hat, haben die Teilnehmenden eher von ihren Empfindungen und Gefühlen im Zusammenhang mit der Besichtigung erzählt. Lorenza und Valentina hielten es für sinnvoll, ihnen Raum für diese Erzählungen zu lassen, auch weil – wie die Teilnehmenden erklärt haben – es nicht oft vorkommt, dass man eine solche Erfahrung in einem Museum machen darf.
- Wer hat teilgenommen?
Unser Ziel war es, die Gäste der Tagesstätte Casa Andreina – Unitas einzubeziehen, also blinde oder sehbehinderte Menschen und sehende Personen. Dieses Ziel haben wir erreicht. Sechs blinde/sehbehinderte Menschen und sechs sehende Personen haben an der Veranstaltung teilgenommen.
- Welche Barrieren wurden berücksichtigt? Was waren die Herausforderungen – und wie seid ihr damit umgegangen?
Lorenza Campana und Valentina Pallucca haben die Stiftung Lindenberg vorab besucht, um sich zu überlegen, wo die Stühle für das Erzählcafé aufgestellt werden könnten. Sie haben sich für ein Ecke im Erdgeschoss entschieden, ohne Treppen. Die Stühle haben sie bereits vor dem Eintreffen der Teilnehmenden kreisförmig aufgestellt.
- Erinnert ihr euch an einen besonders schönen Moment?
Während des Erzählcafés erzählte ein von Geburt an blinder Teilnehmer, wie er Farben wahrnimmt: Er assoziiert jede Farbe mit einer Melodie (rot = fröhliche und lebhafte Melodien, blau = ruhige Melodien etc.). Das war ein besonderer und interessanter Moment, denn einige der sehenden Teilnehmenden hatten sich noch nie Gedanken über diesen Aspekt des Alltags einer blinden Person gemacht.
- Welches Fazit zieht ihr aus dieser Veranstaltung?
Das Fazit fällt ganz klar positiv aus. Das Erzählcafé verlief etwas anders als geplant, aber es erwies sich als ein hervorragendes Instrument für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und den Austausch. Die Macherinnen haben verstanden, dass es eine gewisse Flexibilität braucht und dass es manchmal notwendig ist, das ursprüngliche Projekt abzuändern. Sie können aus dieser Erfahrung lernen: Beim nächsten Mal werden sie zuerst das Erzählcafé durchführen und erst dann die Museumsbesichtigung machen. So steht diese beim Erzählen nicht übermässig im Fokus. Sie wollen aber auf jeden Fall auch in Zukunft wieder verschiedene soziale Projekte miteinander verbinden.
- Was haltet ihr von der Herangehensweise des Erzählcafés?
Erzählcafés sind eine hervorragende Gelegenheit, Gedanken und Erfahrungen mit Menschen zu teilen, die sich anfänglich möglicherweise gar nicht kennen.
Ziel ist es, gesellschaftlichen Zusammenhalt, Integration und gegenseitiges Verständnis zu schaffen, und dafür zu sorgen, dass sich alle wohlfühlen. Die Teilnehmenden sollen nicht nur die menschliche Wärme der anderen erfahren, sondern auch, wie Menschen im Grunde oft einen gemeinsamen Berührungspunkt haben und Leben miteinander verwoben sind – auch wenn die Menschen auf den ersten Blick unterschiedlicher nicht sein könnten.
Förderprogramm des Netzwerks Erzählcafé
Das Erzählcafé «Con-tatto» hat einen Förderbeitrag vom Netzwerk Erzählcafé erhalten. Auf der Website finden Sie nähere Informationen dazu, wie Sie sich mit Ihrem Erzählcafé bewerben können: Förderprogramm 2022