Resonanz am Werkstattgespräch 2019
Auch dieses Jahr stand das Werkstattgespräch unter einem speziellen Thema, und zwar «Erzählen – Zuhören – Resonanz erfahren». Im folgenden Artikel geben wir einen Überblick, was für Hartmut Rosa Resonanz bedeutet und wie es zu unseren Tätigkeiten mit Erzählcafés in Bezug steht.
Was bedeutet es, Resonanz zu erfahren?
In seiner Soziologie der Weltbeziehung – wie wir als Person mit der Welt in Verbindung treten – stellt der Soziologe Hartmut Rosa fest, dass unsere Gesellschaft immer mehr auf Weltaneignung aus ist. In unserem Streben nach Optimierung, Steigerung und Ressourcengewinn als Kriterien des «guten Lebens» stelle sich das Gegenteil ein: die Entfremdung. Dem gegenüber stellt Rosa die Resonanzerfahrung als Beziehungsmodus zu anderen Menschen, Tieren, zu unserer materiellen Umwelt oder auch zum Leben und der Natur an sich.
Resonanz im Erzählcafé: Bedeutet Resonanz Harmonie? Und kann Stille auch eine Form von Resonanz sein?
In einem Erzählcafé stehen verschiedene Lebenserfahrungen nebeneinander. Die Art und Weise, wie eine Erfahrung erzählt wird, der Inhalt und andere Faktoren beeinflussen unsere Reaktion auf die Erzählungen unserer Mitmenschen. Resonanz im Erzählcafé heisst nicht, alle Geschichten und Menschen sympathisch finden zu müssen. Eher beinhaltet Resonanz eine Grundhaltung, bei der es kein Wahr oder Falsch gibt und bei der man nicht wertet. So kann Widerstand auch eine Art von Resonanz sein.
Resonanz heisst, seine Stimme hörbar zu machen, sich aufs Spiel zu setzen und sich verwundbar zu machen, in einem Prozess, von dem man nicht weiss, was das Ergebnis ist. Wenn wir uns jedoch unter Druck gesetzt fühlen, etwas sagen zu müssen, werden wir kaum Momente der Resonanz erleben. Momente der Stille, in denen die Arbeit mit der eigenen Biografie stattfindet, oder in denen das Gesagte nachwirkt, sind Resonanzerfahrungen mit sich selbst und somit nicht als Abgrenzung abzuwerten. Für Hartmut Rosa sind institutionelle und soziale Räume, die einen Rahmen für Resonanzbeziehungen ermöglichen, wesentlich. Die Methode des Erzählcafés stellt so einen Raum durch die Moderation her.
Zum Abschluss
Einen gefüllten Tag mit vielen Eindrücken und Inputs haben wir als Team Netzwerk Erzählcafé nicht mit einer Zusammenfassung schliessen wollen. Dafür jetzt im Nachgang ein persönlicher Aha-Moment: Für mich als Moderatorin wurde klar, dass es nicht darum geht, beim Moderieren Resonanz zu verspüren – persönlich fällt es mir sogar schwer, da ich gleichzeitig den roten Faden stricke, die Gruppendynamik beobachte und die Uhr im Blick halte. Es geht darum, dass ich Voraussetzungen schaffe, in denen Resonanzerfahrungen entstehen können.
Durch eine vertrauliche Atmosphäre und eine nicht-wertende Grundhaltung können wir als ModeratorInnen und VeranstalterInnen Bedingungen für Resonanz schaffen, aber sie schlussendlich nicht erzwingen. Wir schaffen Räume, die Resonanz ermöglichen und vereinfachen. Und zuletzt sollten wir uns auch hüten, Resonanz als Messkriterium für ein erfolgreiches Erzählcafé zu sehen und die Unverfügbarkeit der Resonanz zu geniessen und zu akzeptieren.
Autorin: Rhea Braunwalder
Literatur:
Hartmut Rosa (2018) Unverfügbarkeit. Verlag: Residenz-Verlag.
Hartmut Rosa (2016): Resonanz – Eine Soziologie der Weltbeziehung. Verlag: Suhrkamp.