Am 20. März 2023 fand das jährliche Werkstattgespräch in Olten statt. Nach dem Treffen haben wir das neu erschienene Buch «Erzählcafés: Einblicke in Praxis und Theorie» zusammen gefeiert.  Das Erzählcafé-Team aus allen Landesteilen reiste an, um mit den Teilnehmenden die Frage zu diskutieren, ob das biografische Erzählen zur Friedensstiftung beitragen kann.

Die Hauptreferentinnen des Tages waren die Friedensaktivistin Lea Suter und die Soziologin Kristin Thorshaug.

Bild: zVg

Lea Suter gab Denkanstösse zum Dialog über Krieg und Frieden und auch zur Auswirkung von Worten auf unsere Art, die Welt zu sehen. Sie arbeitet seit 2011 im Bereich internationale Beziehungen, zuerst für die Vereinten Nationen in Genf, später für den aussenpolitischen Think Tank foraus und die Gesellschaft Schweiz-UNO. 2017 lancierte sie den Blog PeacePrints, auf dem sie Friedensreportagen aus Kriegsgebieten publiziert. Lea Suter ist Friedensmediatorin und arbeitet seit 2023 als Programmleiterin für den Bereich Pluralismus beim jungen Think+Do Tank Pro Futuris, für den sie Dialog-Formate zur Hemmung der Polarisierung in der Schweizer Gesellschaft entwickelt.

 

 

Bild: Interface

Kristin Thorshaug evaluierte im Auftrag von Gesundheitsförderung Schweiz das Format und das Netzwerk Erzählcafé. Dabei kam sie zum Ergebnis, dass die Teilnahme an Erzählcafés die soziale Teilhabe sowie auch wichtige Lebenskompetenzen im Alter stärkt. Sie studierte in Norwegen Soziologie und verfügt über einen CAS in Diversity- und Gleichstellungskompetenz. Bei Interface Politikstudien Forschung und Beratung führt sie Evaluationen und Analysen von Massnahmen zur Förderung von Chancengleichheit, Integration und gesellschaftlicher Teilhabe durch.

 

Im Anschluss hatten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Möglichkeit, an Schnupper-Erzählcafés in drei Sprachen und an interaktiven Gruppenarbeiten mitzumachen.

Erfolgreiches Buch

Nach der Tagung stiessen wir gemeinsam auf den neu erschienenen Sammelband «Erzählcafés: Einblicke und Theorie und Praxis» an. Die drei Herausgeber*innen Gert Dressel, Johanna Kohn und Jessica Schnelle freuten sich, das zweijährige Projekt mit vielen Beteiligten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz mit einem schönen Resultat zu Ende zu bringen. Das Buch kann zu einem Spezialpreis von 25 CHF bei Johanna Kohn bezogen werden.

Einige Stimmen

«Es hat mich gefreut, bekannte und auch neue Gesichter zu sehen. Das Netzwerk bringt Menschen mit ganz unterschiedlichen Hintergründen zusammen, die sich gemeinsam auf den Weg begeben, Erzählcafés sorgfältig und mit viel Herzblut zu organisieren. Wenn so viele motivierte Menschen am Werkstattgespräch zusammenkommen, gehen alle inspiriert und frisch wieder an die Aufgabe heran, Erzählcafés in ihrer Region ins Leben zu rufen. »
Rhea Braunwalder, Co-Geschäftsleiterin des Vereins Netzwerk Erzählcafé

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Unser gemeinsam geschriebenes Buch: «Erzählcafés. Einblicke in Praxis und Theorie.» im Beltz-Verlag (Hrsg: Gert Dressel, Johanna Kohn, Jessica Schnelle) ist erschienen! Das Buch, eine Kollaboration von 35 Autor*innen aus der Schweiz, Deutschland und Österreich beleuchtet Hintergründe und Kontexte des Formats Erzählcafé aus verschiedenen Perspektiven. Wir freuen uns, wenn Sie das Buch lokal vorstellen können. Wir vergüten Buchvernissagen mit 500 Franken.

 

Damit möglichst viele Moderatorinnen und Moderatoren und Teilnehmende von Erzählcafés von unserem neuen Buch wissen, ermuntern wir zu lokalen Buchvernissagen – dort, wo ihr lebt und arbeitet. Habt ihr die Möglichkeit, das Buch anlässlich eines Erzählcafés vorzustellen, in einer Bibliothek oder Buchhandlung daraus vorzulesen oder einen Buch-Apéro zu organisieren? Wir vergüten eure lokale Veranstaltung mit einem Pauschalbetrag von 500 Franken.

Bedingungen:

  • Die Buchvernissage/-promotion muss zwischen Dezember 2022 und Februar 2023 stattfinden.
  • Die Veranstaltung muss als Buchvorstellung/Vernissage angekündigt werden und auf der Agenda des Netzwerks Erzählcafé Schweiz hochgeschaltet werden.
  • Buchtitel, Herausgeber und Verlag werden in der Einladung/Flyer genannt, wenn möglich mit Logo des Netzwerks Erzählcafé und dem Migros-Kulturprozent.
  • Ein Ansichtsexemplar des Buches liegt an der Vernissage aus. Die Möglichkeiten ein Buch zu erwerben werden aufgezeigt, oder gegebenenfalls mit einer lokalen Buchhandlung zusammengearbeitet.
  • Ein Teil der Veranstaltung muss sich direkt mit der Vorstellung des Buchs beschäftigen.
  • Nach der Vernissage senden Sie uns 2-3 Sätze wie die Veranstaltung verlief, welche auf unserem Schwarzen Brett für den Erfahrungsaustausch geteilt werden.

Danke vielmals, dass ihr mithelft, unser Buch und die tollen Beiträge bekannter zu machen!

Informationsblatt zur möglichen Zusammenarbeit mit Buchhandlungen

Stellt bitte einen Antrag  über das Formular:

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Autorin: Rhea Braunwalder
Foto: Anna-Tina Eberhard

Die Migros rief mit der Weihnachtskampagne dazu auf, niemanden allein zu lassen. Ich wollte einen Beitrag leisten und in der Adventszeit ein Erzählcafé anbieten. Ich freute mich auf neue Gesichter am Tisch. Doch dann sass ich (ziemlich) allein da. Woran lag es? Und wie gehen Moderatorinnen und Moderatoren damit um, wenn nur wenige Menschen – oder niemand – kommt?

Rhea Braunwalder, Projektgestalterin und Moderatorin von Erzählcafés

Mit diesem Beitrag möchte ich ein wichtiges Thema ansprechen: die Partizipation am Erzählcafé. Aus meiner langjährigen Erfahrung als Moderatorin von Erzählcafés weiss ich, wie wichtig eine offene  Gesprächskultur unter Moderierenden ist. Gemeinsam zu reflektieren, bringt uns alle weiter.

Ich habe letzten Samstag ein Erzählcafé angeboten. Meine Schwester ist gekommen, die restlichen Stühle blieben leer. Wir haben dann zusammen einen Tee getrunken und Musik gehört. Natürlich habe ich mich gefragt, woran es lag, dass niemand kam, und was es bräuchte, damit mehr Personen an meine Erzählcafés kommen.

Allein auf weiter Flur – woran liegt es?

Wenn ich ein Erzählcafé organisiere und nur eine oder zwei Personen kommen, bin ich enttäuscht. Ich überlege mir: War mein Erzählcafé zu kurzfristig angekündet? Liegt es an mir als Person? Lag es am Wetter, an der Tageszeit, am Wochentag, am Thema, an der Pandemie? Unweigerlich befinde ich mich in einer Rechtfertigungshaltung. Ich fühle mich, als müsste ich auch noch Aussenstehenden versichern: «Auch zu zweit war es schön, und es wurden viele Geschichten ausgetauscht!»

Auch wenn mir andere Moderierende und die Gäste versichern, dass sie das Erlebnis auch in einer kleinen Runde geniessen, beschäftigt mich das. Ich finde es wichtig, dass wir öfter und offener darüber reden, wenn unsere Erzählcafés nicht so gut gelaufen sind. Wir sollten es nicht als Scheitern oder Misserfolg empfinden. Schliesslich geht es, besonders bei Erzählcafés, nicht um eine leistungsorientierte Tätigkeit – weder beim Teilnehmen noch beim Moderieren.

Partizipation fängt schon bei der Planung an

Ich vermute, dass das Rezept eines erfolgreichen Erzählcafés die Partizipation ist. Das Netzwerk Erzählcafé Schweiz ruft zu partizipativen Erzählcafés auf. Partizipation kann von Mitsprache über Mitentscheidung bis zu Beteiligung reichen. Partizipation ist nicht nur bei der Durchführung, sondern bereits bei der Planung eines Erzählcafés empfehlenswert. Oft bleiben wir in der Planung bei einer Vorstufe der Partizipation: der Informierung. Wir suchen ein Thema aus, einen Ort, eine Uhrzeit. Dann kommunizieren wir die Fakten. Vielleicht ist es nicht ganz so überraschend, dass wenige Personen kommen. Denn eine Person, die an einem Erzählcafé teilnimmt, muss zufällig gerade dann Zeit haben, mit dem Thema resonieren, an diesem Ort sein und noch die Information irgendwo gelesen haben.

Wenn wir potenzielle Teilnehmende nebst der Informierung auch noch nach ihrer Meinung oder nach ihren Erfahrungen fragen würden, wäre das ein weiterer Schritt in Richtung eines partizipativ gestalteten Erzählcafés. Richtig partizipativ wird es dann, wenn wir mit den Teilnehmenden gemeinsam das Erzählcafé planen, zum Beispiel in einer Planungsgruppe. Hier bestimmt die Gruppe gemeinsam den Tag, die Uhrzeit und das Thema. So freuen sich alle gemeinsam auf «ihr» Erzählcafé, das zum Gemeinschaftsprojekt geworden ist.

Eine persönliche Einladung ist entscheidend

Ich bin auch sicher, dass die Reise zu erfolgreicheren Erzählcafé mit einer persönlichen Einladung beginnt. Denn wir dürfen nicht vergessen: Viele Menschen haben eine hohe Hemmschwelle, etwas Neues auszuprobieren und sich gegenüber anderen zu öffnen.

Es würde mich interessieren, wie diese Einladung lauten könnte. Schreibt mir doch eine E-Mail mit euren Gedanken und Kommentaren oder teilt eure Erfahrungen im Schwarzen Brett. Ich freue mich, von euren Erfahrungen zu lesen: rhea.braunwalder@netzwerk-erzaehlcafe.ch.

Das Thementreffen startete mit einem Input von Marlen Rutz (Projektleiterin Soziales, Migros-Kulturprozent, siehe Foto) und Rahel Fenini (Gleichstellungsbeauftragte des Kantons St.Gallen).  Danach wurden Facetten des Themas in Kleingruppen diskutiert. Hier finden Sie die Dokumentation der Veranstaltung:

Gender Input Thementreffen 2021

Dokumentation des Treffens

Seit mehreren Jahren leitet Renata Schneider Liengme in Freiburg Erzählcafés in französischer und deutscher Sprache. Wie viele andere auch, legte sie während der Corona-Pandemie diese Treffen auf Eis. Um die Verbindung, die in diesen Zeiten der physischen Distanz umso wertvoller ist, am Leben zu erhalten, schlug sie Anfang Februar 2021 ein Format in digitaler Form oder via Briefpost vor. Das Thema: «Überraschungen».

Renata Schneider Liengme, was hat Sie motiviert, das «Erzählcafé auf Distanz» zu initiieren?

Die Pandemie natürlich! Ich habe den Eindruck, dass eine solche Aktivität vielen Leuten fehlt: Sich treffen, den Erfahrungen anderer Menschen zuhören, sich austauschen. Und da nicht alle Interessenten sich mit digitalen Hilfsmitteln auskennen, habe ich als Ausdrucksmöglichkeit schriftliche Texte vorgeschlagen. Damit niemand ausgeschlossen wird, habe ich die Möglichkeit vorgesehen, dass man als «stumme» Leserin teilnehmen kann, und die anderen Teilnehmerinnen über ihre Anwesenheit informiert. In meiner Einladung habe ich zudem vorgeschlagen, per Telefon erzählte Geschichten zu transkribieren.

Wie sind Sie auf das Thema «Überraschungen» gekommen?

Ich wollte ein «einfaches» Thema wählen. Es scheint mir, dass eine Überraschung auch ohne die Anwesenheit anderer Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die unsere Geschichten inspirieren, mühelos erzählt werden kann.

Ist Ihre Einladung zu diesem schriftlichen Austausch auf Interesse gestossen?

Mit E-Mails und Briefen habe ich 115 Personen zur Teilnahme an diesem Erzählcafé auf Distanz eingeladen, die meisten von ihnen deutschsprachig. Am Ende konnte ich etwa 20 Personen begrüssen – alles Frauen, darunter zwölf Deutschsprachige.

Die meisten Personen, die geantwortet haben, waren bereits mit dem üblichen Erzählcafé-Format vertraut. Eine Reaktion bereitete mir besonders Freude: Eine Freundin, der ich meine Einladung geschickt hatte, antwortete mir, dass sie nicht wisse, was sie mir erzählen könne. Bei einem zufälligen Treffen erzählte sie mir dann aber doch eine Geschichte zur Überraschung, die sie erlebt hatte, als sie erfuhr, dass sie Grossmutter werden würde.

Sie haben auch Geschichten transkribiert.

Ja, ich habe die Geschichten von zwei Teilnehmerinnen transkribiert: Diejenige einer sehr alten Dame, die ich zu Hause besucht habe, um ihre Geschichte zu hören, und diejenige ihrer Nachbarin, die von der Dame selbst eingeladen war und mit der wir sozusagen ein kleines Live-Erzählcafé erlebt haben.

Können Sie uns von den Überraschungen erzählen, ohne dabei die Geheimnisse der Ihnen anvertrauten Geschichten zu verraten?

Die erzählten Geschichten waren nicht weniger überraschend als das Thema. Weihnachts- und Geburtstagsgeschenke, schlechte und gute Überraschungen. Ich konnte sieben Geschichten sammeln – sowohl auf Französisch als auch auf Deutsch –, die ich den Teilnehmerinnen in Form von zwei Dossiers weitergeleitet habe. Eine Geschichte auf Deutsch traf leider mit einer Woche Verspätung ein. Doch sie war eine echte Überraschung für mich, denn sie kam von einer Dame, die weder mich, noch die Erzählcafés kannte!

Wie haben die Teilnehmerinnen auf die Geschichtensammlung reagiert?

Nachdem ich die gesammelten Geschichten verschickt hatte, erhielt ich von ein paar Leuten sehr zufriedene und auch überraschte Rückmeldungen. Zwei älteren Damen, die ich gut kenne und die die Erzählcafés vor Ort sehr geschätzt hatten, habe ich die Geschichten persönlich überbracht.

Was nehmen Sie aus dieser Erfahrung mit?

Ich bin mit dem Ergebnis recht zufrieden. Doch ich gebe zu, dass viel Arbeit dahinter steckt! Auch die Menschen, die an diesem schriftlichen Erzählcafé teilgenommen haben, waren sehr zufrieden, aber sie bevorzugen das Erzählcafé, bei dem man sich von Angesicht zu Angesicht trifft. Mir geht es auch so.

Ich habe einen Ort (gut gelegen im Herzen der Stadt Freiburg) und zwei Termine für ein deutsches und ein französisches Erzählcafé im Mai und Anfang Juni geplant. Nun hoffe ich natürlich, dass ich diese dann auch wirklich durchführen kann!

In einer explorativen Forschung versuchen wir herauszufinden was Erzählcafés, online sowie auch offline, aus Sicht der Teilnehmenden bewirken. Warum nehmen Personen an Erzählcafés teil? Was ist beim Erzählen und Zuhören besonders wichtig? Was bleibt in Erinnerung und fliesst in den Alltag ein?

Im Rahmen dieser Forschung werden Teilnehmende mit einem Schreibaufruf (Laufzeit bis Ende Februar 2021) aufgefordert schriftlich von ihren Erzählcafé-Erfahrungen zu berichten. Parallel dazu werden Teilnehmende in online Erzählcafés mittels der Methode „Thinking-Aloud“ befragt. Die Forschungsergebnisse werden in Berichten und Blog-Beiträgen auf unserer Webseite im Juni 2021 vorgestellt.

Projektsteuerung: Jessica Schnelle (Migros-Kulturprozent), Johanna Kohn (FHNW), Gert Dressel (Doku Lebensgeschichte/Uni Wien und Verein Sorgenetz)

Weitere Mitwirkende: Edith Auer und Günter Müller (Doku Lebensgeschichte/Uni Wien), Rhea Braunwalder (Netzwerk Erzählcafé), Simone Girard (FHNW), Christina Knobel (FHNW), Daniela Rothe (Universität Duisburg Essen)

Projektlaufzeit: Oktober 2020 bis Juni 2021

Unter der Leitung von Gert Dressel erarbeiten Autorinnen und Autoren aus dem deutschsprachigen Raum gemeinsam eine Publikation zum Thema «Das Erzählcafé auf dem Prüfstand. Erfahrungen und Gelingensbedingungen» (Arbeitstitel). Sie wird im 2021 erscheinen. Wir beantworten die wichtigsten Fragen.

Was wollen wir der Welt erzählen?

Seit den 1980er Jahren gibt es Erzählcafés, lebensgeschichtliche Gesprächskreise oder Biografiegruppen. In solchen Gruppen werden persönliche Erfahrungen und Geschichten von Menschen verschiedenen Alters und sozialer, kultureller und nationaler Herkunft ausgetauscht. Das besondere daran: Im moderierten Dialog wird nicht die «eine Wahrheit» gesucht. Vielmehr erhalten die verschiedenen Erfahrungen der Menschen ein Gehör.

Warum schreiben wir eine Publikation?

Jessica Schnelle, Gert Dressel und Johanna Kohn (v.l.n.r.), die die Publikation herausgeben werden, sprechen im Video über ihr partizipatives Publikationsprojekt und warum es wichtig ist, die Vielfalt der Erzählcafés sichtbar zu machen.

Wer schreibt an der Publikation mit?

 

Wie läuft das Projekt ab?

Bis im April 2020 findet eine Verschriftlichung der Reflexionen und Analysen statt. An einem Workshop im Januar 2021 werden die Ergebnisse zusammengetragen und gesichtet. Das Ergebnis dieser Arbeit legt den Grundstein für die weitere zielgruppenspezifische Verarbeitung: vielleicht eine Publikation, ein Website-Beitrag oder Podcast? Für den Prozess der Erarbeitung ist uns wichtig, im ersten Schritt das Endprodukt noch offen zu lassen.

Für wen ist die Publikation?

Die Publikation soll Menschen, die Erzählcafés moderieren und organisieren, Unterstützung bieten. Die Ergebnisse werden im Jahr 2021 veröffentlicht.

Wer steht hinter dem Publikationsprojekt?

Das partizipativ und interdisziplinär angelegte Forschungs- und Publikationsprojekt ist eine Kooperation des Netzwerks Erzählcafé Schweiz (getragen vom Migros-Kulturprozent und dem Institut Integration und Partizipation an der Hochschule für Soziale Arbeit/FHNW) mit der Dokumentation lebensgeschichtlicher Aufzeichnungen an der Universität Wien und dem Verein Sorgenetz (Wien).

Kontakt der Herausgebenden:

Gert Dressel, Dokumentation lebensgeschichtlicher Aufzeichnungen an der Universität Wien sowie Verein Sorgenetz gert.dressel@univie.ac.at

Johanna Kohn, Fachhochschule Nordwestschweiz, Institut Integration und Partizipation
johanna.kohn@fhnw.ch

Jessica Schnelle, Migros-Kulturprozent, Bereich Soziales
jessica.schnelle@mgb.ch

Auch dieses Jahr fördert das Netzwerk Erzählcafé inspirierende Erzählcafés mit einem Beitrag von 500 CHF. Projektmitarbeiterin Rhea Braunwalder beantwortet Fragen zum diesjährigen Thema: «Erzählcafés für Morgen».

Warum hat das Projektteam sich für das Thema «Erzählcafés für Morgen» entschieden?

Rhea Braunwalder: Kürzlich nahm ich an einer Podiumsdiskussion zur nationalen Abstimmung über die Erweiterung der Anti-Rassismus-Strafnorm teil. Das Thema wurde rege diskutiert. Als der Moderator die Diskussion abschliessen wollte, meldete sich ein älterer Herr. Er erzählte, wie er als homosexuelle Person unter der Diskriminierung bei der Arbeit gelitten habe. Das Publikum war sichtlich gerührt und gleichzeitig nachdenklich. Dies brachte mich auf die Idee, Erzählcafés zu aktuellen gesellschaftlichen (Tabu-)Themen zu fördern. So könnten Vorurteile abgebaut werden und eine gemeinsame Baisis für Entwicklungen in der Zukunft geschaffen werden. In regulären Podiumsdiskussion haben biografische Geschichten nämlich wenig Platz.

Wo würden Sie persönlich gerne einmal ein «Erzählcafé für Morgen» veranstalten?

In einer Abstimmungskampagne, weil die Diskussion und der Meinungsaustausch dort ganz anders abläuft als in einem Erzählcafé. Die Themen an sich jedoch, sind wichtig und eignen sich sicher auch für ein Erzählcafé. Es ginge mir nicht darum, eine Position als «richtig» und die andere als «falsch» darzustellen, sondern darum den Austausch und die Begegnung zwischen BefürworterInnen und GegnerInnen zu ermöglichen und das Thema in all seinen Facetten sichtbar zu machen. Es würde mich reizen einen Resonanzraum zu schaffen, wo die Grundhaltung offen und wertfrei ist, obwohl das Thema sehr brisant sein kann. Eine Idee wäre es ein Erzählcafé zum Thema „Geburt“ im Kontext der möglichen Abstimmung über die Einführung des Vaterschaftsurlaubs durchzuführen.

Was sind Herausforderungen bei kontroversen Zukunftsthemen?

Herausfordernd für die Moderation ist, dass man bei aktuellen Themen keine normative Haltung vertritt, sondern einfach Raum für den Austausch lässt. Es könnte schwierig sein, die Teilnehmenden zu animieren, bei ihren eigenen Geschichten und Erfahrungen zu bleiben, und nicht in die Diskussion zu verfallen. Erzählcafés zu einem aktuellen Thema, welches für die Zukunft wichtig ist, werden besonders dann eine gesellschaftliche Wirkung entfalten, wenn möglichst unterschiedliche Perspektiven zu einem Thema ans Licht kommen. Die Herausforderung ist hier, Menschen mit unterschiedlichen Perspektiven und Erfahrungen zum gewählten Thema zu erreichen und zusammenzubringen.

Wer kann einen Förderantrag stellen?

ModeratorInnen oder Veranstaltende können auf unserer Webseite unter «Förderprogramm» mehr über die Ausschreibung lesen und online den Antrag stellen. Wir wollen möglichst viele ModeratorInnen und Veranstaltende ermutigen, sich zu melden und freuen uns auf Ideen und Experimente. Bewerben Sie sich und inspirieren Sie uns!

Detaillierte Ausschreibung des Förderprogramms

 

Jessica Schnelle (JS) und Rhea Braunwalder (RB), Projektgestalterinnen des Netzwerks Erzählcafé Schweiz, über Partizipation im Netzwerk Erzählcafé

Was bedeutet Partizipation im Rahmen des Netzwerks Erzählcafé?

JS: Unser Netzwerk besteht aus Menschen, die über unterschiedliche Ressourcen wie Zeit, Erfahrungen, Netzwerk und Finanzen verfügen. Im Projektteam Erzählcafé pflegen wir die Haltung, dass alle ihre Ressourcen einbringen können, um zusammen etwas zu kreieren, was den gemeinsamen Zielen dient. Im Fall des Netzwerks Erzählcafé ist es unser Ziel, sorgsam moderierte Erzählcafés guter Qualität in der ganzen Schweiz zu fördern.

Warum ist Partizipation für das Netzwerk Erzählcafé so wichtig?

JS: Wenn Akteurinnen und Akteure ihre eigenen Fragestellungen formulieren und voranbringen können, entstehen Vernetzungen und Angebote, die erwünscht sind und einen Mehrwert bieten. Ausserdem ist Partizipation ein Grundgedanke und Leitprinzip für die Arbeit im Bereich Soziales des Migros-Kulturprozent und des Instituts für Integration und Partizipation der FHNW, welche Träger des Netzwerks sind.

Wie und wo wird im Netzwerk Erzählcafé partizipativ gearbeitet?

JS: Grundsätzlich sind wir offen für partizipative Arbeitsweisen und freuen uns, wenn sich Personen bei uns melden, die aktiv mitwirken wollen. Trotzdem werden nicht alle Aktivitäten des Netzwerks Erzählcafés partizipativ angegangen. So kümmert sich das Projektteam um die strategische Ausrichtung des Netzwerks, administrative Aufgaben, die Kommunikation, Fundraising und den Förderimpuls. Bei anderen Aufgaben, wie zum Beispiel der Erstellung der Charta und des Leitfadens, werden Moderatorinnen und Moderatoren bei der Ausarbeitung oder für eine Vernehmlassung mit einbezogen. Bei der Konzeption der Intervision 2019 haben wir mit Claudia Sollberger gearbeitet, einer Moderatorin, die sich sehr für das Netzwerk einsetzt. In unserem neusten Format, dem Fokustreffen laden wir gezielt alle Moderatorinnen und Moderatoren ein, gemeinsam das Netzwerk zu gestalten.

Wann war das letzte Fokustreffen und was ist dort passiert?

RB: Das letzte Fokustreffen fand am 14. Januar 2020 im Coworking und Kaffeebar Effinger in Bern statt. Zusammen mit neun Moderatorinnen und Moderatoren haben wir Themen sondiert und besprochen, die die Anwesenden interessieren und beschäftigen. Der Kontakt zwischen Veranstaltenden und Moderierenden war einer der Punkte, die intensiv besprochen wurden. Ebenfalls machten sich einige Gedanken über die Positionierung der Methode «Erzählcafé» inmitten der vielen anderen Erzählformate die es heutzutage gibt. Andere Themen waren Erzählcafés mit speziellen Zielgruppen wie psychisch oder physisch beeinträchtigten Menschen, Erzählcafés im Quartier und Erzählcafés in interkulturellen Settings.

Was nehmen die Teilnehmenden eines Fokustreffens mit in den Alltag?

RB: Im Grunde genommen geben wir am Fokustreffen Interessierten den Raum und die Möglichkeit zum Austausch. Die Ergebnisse des Fokustreffens sind offen, ob es nun Themenvorschläge und Stossrichtungen für das Projektteam sind, oder ob Themengruppen entstehen, die sich selbständig mit einem Thema befassen. Wir hoffen, dass dadurch sehr spezifische Fragestellungen oder lokale Aktivitäten, die durch das Projektteam des Netzwerk Erzählcafé nicht leistbar sind, aufgenommen werden und wieder ins Netzwerk zurückkommen.

Wie sieht die Arbeitsorganisation in der Zukunft idealerweise aus?

RB und JS: Wir hoffen, dass der Dialog zwischen dem Projektteam und den Moderatorinnen und Moderatoren darüber, welche Schwerpunkte das Netzwerk setzen soll, noch stärker in Gang kommt. Es sollen möglichst viele Menschen das Netzwerk prägen. Dieses soll sich durch Ko-Konstruktion* und Partizipation in eine Richtung entwickeln, die für die Akteurinnen und Akteure sinnvoll und förderlich ist. Ideal wäre natürlich, wenn die Beteiligten mit ihrem Einsatz und ihren Ideen ermöglichen, das Projekt in eine verstetigte Struktur zu überführen und so das Wirken des Projekts langfristig und nachhaltig zu sichern.

*Mit Ko-Konstruktion ist ein gemeinsames Schaffen auf Augenhöhe verschiedener Menschen gemeint.

Bild: Ideensammlung am Fokustreffen in Bern, Januar 2020

 

In einem vertrauten Rahmen unter Frauen erzählen, Erfahrungen austauschen und Kontakte festigen: Im Erzählcafé der Aida Sprachschule für fremdsprachige Frauen wird das englische Sprichwort «to let your hair down» (aus sich herausgehen, sich gehen lassen) im wortwörtlichen Sinn gelebt. Natalie Freitag erzählt, wie das vonstatten geht.

Frau Freitag, welche Art von Erzählcafé bieten Sie an?

Natalie Freitag: An der Aida St.Gallen findet jeden Freitagnachmittag ein Erzählcafé statt. An diesem «Freitagscafé» verwandelt sich die Cafeteria unserer Schule zum offenen Treffpunkt für Kursteilnehmerinnen, deren Freundinnen und Kinder. Ausserdem findet hier einmal pro Monat das Erzählcafé «Aida erzählt» statt, wo auch Bekannte und interessierte Frauen deutscher Muttersprache eingeladen sind. Das Erzählcafé wird im Rahmen unseres Kursangebots beworben, von Mitarbeiterinnen der Sprachschule moderiert und intern finanziert. Die Teilnahme ist für die Frauen kostenlos.

Was hat Sie motiviert, ein Erzählcafé anzubieten?

Wir haben gemerkt, dass sich die Kursteilnehmerinnen auch ausserhalb des strukturierten Rahmens ihrer Sprachkurse austauschen wollen. Deshalb haben wir an einen offenen Treffpunkt gedacht, der auch für ehemalige Teilnehmerinnen oder für Frauen, für die keine unserer Kurse wirklich passen, offen ist. Um die soziale Integration der Frauen zu unterstützen, öffnen wir das Erzählcafé auch für Frauen mit deutscher Muttersprache.

Wie gehen Sie mit den unterschiedlichen Sprachen um?

Wir sprechen im Erzählcafé Hochdeutsch. Das dient der Sprachförderung und dem Gemeinschaftssinn. Die teilnehmenden Frauen sollten mindestens gute Grundkenntnisse haben. Einzelne Erzählcafés werden nur für höhere Sprachniveaus ausgeschrieben. Damit möchten wir erreichen, dass sich Frauen treffen, die in etwa denselben Sprachstand haben.

In der Einleitung zum Artikel steht, dass das englische Sprichwort «to let your hair down» im wortwörtlichen Sinn gelebt wird. Können Sie unseren LeserInnen verraten, worauf wir uns beziehen? 

Es gibt bei «Aida erzählt» immer wieder sehr berührende Momente. Einmal hat eine Frau sich der Gruppe so geöffnet, dass sie ihr Kopftuch abnahm und ihre schönen langen Haare zeigte. Darauf bezieht sich der Hinweis in der Einleitung. Ansonsten geht es bei uns eher gelassen und gelöst zu und her. Nach dem moderierten Teil wird viel gelacht, geplaudert und gegessen.

Interview: Rhea Braunwalder
Foto: Unsplash

Die Sprachschule Aida

Der Verein Aida St.Gallen fördert die Bildung und Integration fremdsprachiger Frauen und Kinder. Ein Angebot an kulturellen Workshops, ein Lernstudio mit Bibliothek, Sprachkurse und das Freitagscafé sind Teil des vielfältigen Angebots. Die Sprachkursleiterin Natalie Freitag organisiert und moderiert zusammen mit Madlon Krüsi das Freitagscafé, das sich jeweils um Alltagsthemen aus dem Familienleben dreht. Das Freitagscafé ist für alle Frauen offen, Kinder dürfen mitkommen und selbständig im Raum spielen. Die nächsten Daten finden Sie hier.