Seit mehreren Jahren leitet Renata Schneider Liengme in Freiburg Erzählcafés in französischer und deutscher Sprache. Wie viele andere auch, legte sie während der Corona-Pandemie diese Treffen auf Eis. Um die Verbindung, die in diesen Zeiten der physischen Distanz umso wertvoller ist, am Leben zu erhalten, schlug sie Anfang Februar 2021 ein Format in digitaler Form oder via Briefpost vor. Das Thema: «Überraschungen».
Renata Schneider Liengme, was hat Sie motiviert, das «Erzählcafé auf Distanz» zu initiieren?
Die Pandemie natürlich! Ich habe den Eindruck, dass eine solche Aktivität vielen Leuten fehlt: Sich treffen, den Erfahrungen anderer Menschen zuhören, sich austauschen. Und da nicht alle Interessenten sich mit digitalen Hilfsmitteln auskennen, habe ich als Ausdrucksmöglichkeit schriftliche Texte vorgeschlagen. Damit niemand ausgeschlossen wird, habe ich die Möglichkeit vorgesehen, dass man als «stumme» Leserin teilnehmen kann, und die anderen Teilnehmerinnen über ihre Anwesenheit informiert. In meiner Einladung habe ich zudem vorgeschlagen, per Telefon erzählte Geschichten zu transkribieren.
Wie sind Sie auf das Thema «Überraschungen» gekommen?
Ich wollte ein «einfaches» Thema wählen. Es scheint mir, dass eine Überraschung auch ohne die Anwesenheit anderer Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die unsere Geschichten inspirieren, mühelos erzählt werden kann.
Ist Ihre Einladung zu diesem schriftlichen Austausch auf Interesse gestossen?
Mit E-Mails und Briefen habe ich 115 Personen zur Teilnahme an diesem Erzählcafé auf Distanz eingeladen, die meisten von ihnen deutschsprachig. Am Ende konnte ich etwa 20 Personen begrüssen – alles Frauen, darunter zwölf Deutschsprachige.
Die meisten Personen, die geantwortet haben, waren bereits mit dem üblichen Erzählcafé-Format vertraut. Eine Reaktion bereitete mir besonders Freude: Eine Freundin, der ich meine Einladung geschickt hatte, antwortete mir, dass sie nicht wisse, was sie mir erzählen könne. Bei einem zufälligen Treffen erzählte sie mir dann aber doch eine Geschichte zur Überraschung, die sie erlebt hatte, als sie erfuhr, dass sie Grossmutter werden würde.
Sie haben auch Geschichten transkribiert.
Ja, ich habe die Geschichten von zwei Teilnehmerinnen transkribiert: Diejenige einer sehr alten Dame, die ich zu Hause besucht habe, um ihre Geschichte zu hören, und diejenige ihrer Nachbarin, die von der Dame selbst eingeladen war und mit der wir sozusagen ein kleines Live-Erzählcafé erlebt haben.
Können Sie uns von den Überraschungen erzählen, ohne dabei die Geheimnisse der Ihnen anvertrauten Geschichten zu verraten?
Die erzählten Geschichten waren nicht weniger überraschend als das Thema. Weihnachts- und Geburtstagsgeschenke, schlechte und gute Überraschungen. Ich konnte sieben Geschichten sammeln – sowohl auf Französisch als auch auf Deutsch –, die ich den Teilnehmerinnen in Form von zwei Dossiers weitergeleitet habe. Eine Geschichte auf Deutsch traf leider mit einer Woche Verspätung ein. Doch sie war eine echte Überraschung für mich, denn sie kam von einer Dame, die weder mich, noch die Erzählcafés kannte!
Wie haben die Teilnehmerinnen auf die Geschichtensammlung reagiert?
Nachdem ich die gesammelten Geschichten verschickt hatte, erhielt ich von ein paar Leuten sehr zufriedene und auch überraschte Rückmeldungen. Zwei älteren Damen, die ich gut kenne und die die Erzählcafés vor Ort sehr geschätzt hatten, habe ich die Geschichten persönlich überbracht.
Was nehmen Sie aus dieser Erfahrung mit?
Ich bin mit dem Ergebnis recht zufrieden. Doch ich gebe zu, dass viel Arbeit dahinter steckt! Auch die Menschen, die an diesem schriftlichen Erzählcafé teilgenommen haben, waren sehr zufrieden, aber sie bevorzugen das Erzählcafé, bei dem man sich von Angesicht zu Angesicht trifft. Mir geht es auch so.
Ich habe einen Ort (gut gelegen im Herzen der Stadt Freiburg) und zwei Termine für ein deutsches und ein französisches Erzählcafé im Mai und Anfang Juni geplant. Nun hoffe ich natürlich, dass ich diese dann auch wirklich durchführen kann!