Möchten Sie das interkulturelle Format (siehe Interview mit Johanna Kohn) einmal selbst ausprobieren? Hier finden Sie Empfehlungen für Gesprächssituation in Erzählcafés mit gehörlosen gebärdenden Personen und DSGS-Dolmetschenden. 

 

Vor dem Erzählcafé:

  • Auf gute Lichtverhältnisse achten. Gegenlicht soll vermieden werden.
  • Je nach Gruppenzusammensetzung muss auch auf Hintergrundgeräusche geachtet werden (Hörgeräte, Cochlea-Implantate).
  • Den gehörlosen Personen und den Dolmetschenden kurz Zeit und Raum geben, um die beste Sitzordnung zu finden.
  • Tische nur wenn notwendig aufstellen.
  • Abklären, ob es in der Gruppe wichtig ist, Hochdeutsch zu sprechen.
  • Um die Aufmerksamkeit einer Gruppe auf sich zu lenken (z.B. für den Start), kann man zum Beispiel den Lichtschalter mehrmals ein- und ausschalten. Wenn die Dolmetschenden bereits präsent oder im Einsatz sind, kann man auch normal «rufen». Die Dolmetschenden übernehmen dann mit einer geeigneten Methode.

Während des Erzählcafés:

  • Es sollen nicht speziell lange Pausen für die Dolmetschenden gemacht werden. Wenn es zu schnell geht, werden die Dolmetschenden das Gespräch unterbrechen und um Wiederholung bitten.
  • Während des Gesprächs unbedingt Blickkontakt mit den Adressierten halten, nicht mit den Dolmetschenden.
  • Die Gebärdensprach-Dolmetschenden werden nicht aktiv ins Gespräch miteinbezogen. Das heisst, es sollen ihnen keine Fragen gestellt werden (ausser sie haben direkt mit der Dolmetschsituation zu tun).
  • Durch das Dolmetschen haben die gebärdensprachlich kommunizierenden Personen eine kleine Verzögerung. Eine typische Situation in gemischten gedolmetschten Gruppen ist: Eine Frage wird lautsprachlich gestellt. Wenn diese Frage dem Ende zugeht, melden sich bereits erste hörende Teilnehmende mit einer Antwort. Zur selben Zeit ist aber die Frage in der Gebärdensprache noch nicht fertig übersetzt. Die gehörlosen Personen sind also im Nachteil und die hörenden Personen kommen ihnen zuvor. In gemischten Gruppen entsteht so das Risiko, dass gehörlose Personen nicht zu Wort kommen. Vergeben Sie das «Recht zu sprechen», damit alle zu Wort kommen. Bevor Antworten auf eine Frage kommen, muss die Frage in Gebärdensprache fertig übersetzt worden sein.
  • Die Gehörlosenkultur zeichnet sich dadurch aus, dass viele Personen gleichzeitig kommunizieren. Es wäre möglich, dass die Gehörlosen die Organisation des Erzählcafés im Sinne von aufeinanderfolgenden Erzählungen (Monologen) unpassend finden und eher Diskussion oder Rückmeldungen suchen. Es sollten vorab Strategien definiert werden, wie die Moderierenden damit umgehen.

Den ausführlichen Leitfaden finden Sie hier.

Johanna Kohn, Professorin für Alter, Biographiearbeit und Migration an der FHNW, lancierte zusammen mit Simone Girard-Groeber, Forscherin im Gehörlosenbereich an der FHNW, ein besonderes Projekt: Sie luden hörende und gehörlose Menschen zum Erzählcafé ein. Johanna Kohn erzählt über diese interkulturelle Begegnung.

 

Interview: Anina Torrado Lara

Wie kamen Sie auf die Idee, Erzählcafés zu veranstalten, bei denen das «Einander Zuhören» eine Herausforderung darstellt?

Johanna Kohn

Johanna Kohn: Die Idee kam von Simone Girard-Groeber. Sie wollte die interkulturelle Begegnung zwischen Hörenden und Gehörlosen ermöglichen und herausfinden, was da im Gespräch passiert. Zuhören und Erzählen konnten wir dank zwei Gebärdensprach-Dolmetscherinnen. Es war ähnlich anspruchsvoll, wie wenn Menschen mit unterschiedlicher Muttersprache und Kultur zusammenkommen.

Inwiefern war die Begegnung zwischen Gehörlosen und Hörenden «interkulturell»?

Die Begegnungen waren in mehrfachem Sinne interkulturell: In jeder Kultur teilen wir gemeinsame Sprachen, gewisse Gewohnheiten, Regeln, Verhalten, Rituale und Geschichten. Hörende und Gehörlose in der Schweiz leben in der gleichen Umgebung, unterscheiden sich aber in Sprache, Geschichte, Umgang, Bedürfnissen. Gehörlose Menschen sind zudem in sich «bi-kulturell»: Sie sind Teil der hörenden Kultur einerseits, nutzen aber andererseits auch ihre Gebärdensprache und fühlen sich der Gehörlosenkultur angehörig.

Was prägt die Kultur von gehörlosen Menschen in der Schweiz?

Ein Einblick in die Geschichte der Gehörlosen in der Schweiz macht das verständlich: Viele der älteren Gehörlosen wurden früh vom Elternhaus getrennt und wuchsen in den wenigen Internaten für Gehörlose in der Schweiz auf. Dort war die Gebärdensprache vielfach verboten und sie wurden für das Gebärden bestraft. Unter grosser Anstrengung mussten sie lernen, Laute zu artikulieren und von den Lippen zu lesen. Untereinander haben sie sich oft nur versteckt in Gebärdensprache austauschen können. Das prägt. Hörende in der Schweiz teilen diese Geschichte nicht, sie haben vielfältige andere Erfahrungen. Während für die Gehörlosen als Minderheit das bi-kulturelle Leben der Alltag ist, war es für die Hörenden am Erzählcafé eher neu, Minderheit in einer gehörlosen Kultur zu sein.

Besteht heutzutage mehr Chancengleichheit für Gehörlose?

Es wurde schon einiges getan. Zum Beispiel werden mehr Informationen in Gebärdensprache übersetzt. Aber gerade im Bildungsbereich bestehen noch enorme Ungleichheiten. Das zeigt sich dann auch in der Berufswahl. Am Erzählcafé haben wir über dieses Thema gesprochen. Viele Gehörlose sagen, dass sie sich in einem ständigen «Kampf ums Sichtbarwerden» befinden. Es fängt schon bei der Berufswahl an: da sind auf den ersten Blick ganz viele Tätigkeiten «unmöglich».

Sind Hörende hilflos im Umgang mit Gehörlosen?

«Hilflos» möchte ich nicht sagen, aber vielleicht erst einmal «sprachlos» und «fremd» in einer fremden Kultur. Kontakt entsteht vielleicht, aber nur sehr oberflächlich. Vertiefte Gespräche sind möglich, wenn Hörende sehr kompetent in Gebärdensprache sind, oder Dolmetschende dabei sind. Das hat uns auch das Erzählcafé gezeigt: Es brauchte eine gute Vorbereitung, damit der interkulturelle Austausch für alle möglich und ein bereicherndes Erlebnis ist.

Können Sie uns einen ersten Einblick in Ihre Erkenntnisse geben?

Ich möchte noch nicht viel vorwegnehmen, aber die Erzählcafés haben bei allen Beteiligten Lust auf mehr geweckt. Sie haben den Hörenden Mut gemacht, sich darauf einzulassen, erst einmal nichts zu verstehen – und dann aber ganz viel zu erleben. Und sie haben den Gehörlosen den Raum gegeben, ihre Erfahrungen und ihre Welt «laut» sichtbar zu machen. Die Ergebnisse und der Leitfaden zur Durchführung von «Erzählcafés Inklusiv» mit Hörenden und Gehörlosen ist hier online.

 

Die Erzählcafé-Reihe mit Gehörlosen und Hörenden

Die Erzählcafé-Reihe wurde 2020 vom Netzwerk Erzählcafé mit dem Schweizerischen Gehörlosenbund, der Max-Bircher-Stiftung und dem Verein Sichtbar Gehörlose in Zürich veranstaltet. Mit dabei waren neben Johanna Kohn und Simone Girard-Groeber auch zwei Dolmetscherinnen sowie hörende und gehörlose Gäste und Moderierende. Aus den Erkenntnissen der Erzählcafés und Interviews mit Beteiligten enstand 2021 ein Bericht über die Kommunikation in interkulturellen Erzählcafés und ein Leitfaden mit Tipps.

Das Thementreffen startete mit einem Input von Marlen Rutz (Projektleiterin Soziales, Migros-Kulturprozent, siehe Foto) und Rahel Fenini (Gleichstellungsbeauftragte des Kantons St.Gallen).  Danach wurden Facetten des Themas in Kleingruppen diskutiert. Hier finden Sie die Dokumentation der Veranstaltung:

Gender Input Thementreffen 2021

Dokumentation des Treffens

In einer explorativen Forschung versuchen wir herauszufinden was Erzählcafés, online sowie auch offline, aus Sicht der Teilnehmenden bewirken. Warum nehmen Personen an Erzählcafés teil? Was ist beim Erzählen und Zuhören besonders wichtig? Was bleibt in Erinnerung und fliesst in den Alltag ein?

Im Rahmen dieser Forschung werden Teilnehmende mit einem Schreibaufruf (Laufzeit bis Ende Februar 2021) aufgefordert schriftlich von ihren Erzählcafé-Erfahrungen zu berichten. Parallel dazu werden Teilnehmende in online Erzählcafés mittels der Methode „Thinking-Aloud“ befragt. Die Forschungsergebnisse werden in Berichten und Blog-Beiträgen auf unserer Webseite im Juni 2021 vorgestellt.

Projektsteuerung: Jessica Schnelle (Migros-Kulturprozent), Johanna Kohn (FHNW), Gert Dressel (Doku Lebensgeschichte/Uni Wien und Verein Sorgenetz)

Weitere Mitwirkende: Edith Auer und Günter Müller (Doku Lebensgeschichte/Uni Wien), Rhea Braunwalder (Netzwerk Erzählcafé), Simone Girard (FHNW), Christina Knobel (FHNW), Daniela Rothe (Universität Duisburg Essen)

Projektlaufzeit: Oktober 2020 bis Juni 2021

Die Vielfalt an Veranstaltungsformaten, welche die Elemente «Biografie – Gruppe – Erzählen» enthalten, ist gross: Es gibt Gesprächskreise, Erzählcafés, Erzähl-Mahle, das Männerpalaver, Femmestische, Erzählbistros und vieles mehr.

 

In diesem «Dschungel» machen wir uns auf die Suche nach dem, was ein Erzählcafé ausmacht und was ein Erzählcafé von anderen Formaten differenziert. Diese Recherche ist Teil eines Publikationsprojekts in der Schweiz, Österreich und Deutschland. Mit Praktikerinnen, Praktikern und Partnern, wie zum Beispiel dem Verein Sorgenetz möchten wir Erfolgsfaktoren und Stolpersteine von Erzähl-Formaten identifizieren.

Um uns zu unterstützen haben wir Moderatorinnen und Moderatoren, Veranstaltende und Trägerschaften nach Ihrer Meinung und Ihren Erfahrungen gefragt. Darüber hinaus war es eine Gelegenheit, andere Erzählformate kennenzulernen und sich zu vernetzen. An dieser Stelle bedanken wir uns bei allen, die den Fragebogen ausgefüllt haben. Die Ergebnisse fliessen in das Publikationsprojekt des Netzwerks Erzählcafé ein.

Wir stellen uns vor

Edith Auer, Dokumentation lebensgeschichtlicher Aufzeichnungen (Uni Wien): «Das Schöne am Erzählen in einer Gruppe ist, dass man ’nur‘ zuhören muss, dass es nicht um Meinungsbildung oder Wahrheitsfindung geht. Und alles, was erzählt wird, ist wichtig.»

Rhea Braunwalder, Netzwerk Erzählcafé: «Beim Erzählcafé gefallen mir die Momente, wo komplett Alltägliches zu Außergewöhnlichem wird.»

Gert Dressel, Dokumentation lebensgeschichtlicher Aufzeichnungen (Uni Wien) & Verein Sorgenetz, er ist auch assoziiertes Mitglied beim Netzwerk Erzählcafé und findet: «Für ein gutes gesellschaftliches Zusammenleben zählt weniger, was gezählt, sondern es zählt, was erzählt werden kann.»

 

 

Am 30. Oktober 2019 trafen sich 30 Personen zum ersten gemeinsamen Anlasses des Netzwerks Erzählcafé Schweiz und Generationen im Museum (GiM). Im Landvogteischloss des Historischen Museums Baden gingen die Teilnehmenden auf Spurensuche und kamen über die Objekte ins Erzählen.

Was passiert, wenn man zwei unterschiedliche Erzählformate zu einer neuen Form verbindet? «Eine geballte Ladung an Kreativität und Inspiration», sagt Rhea Braunwalder vom Netzwerk Erzählcafé. Die Projektmitarbeiterin des Netzwerks lud gemeinsam mit Franziska Dürr von Generationen im Museum am 30. Oktober 2019 die Communities der beiden vom Migros-Kulturprozent konzipierten und realisierten Projekte Generationen im Museum (GiM) und Netzwerk Erzählcafé zum Museumsbesuch der besonderen Art ein.

Die Idee: Zwei sich noch unbekannte Menschen flanieren durch die Ausstellung im Historischen Museum Baden, suchen sich ein Museumsobjekt aus und erfinden dazu gemeinsam eine Geschichte. «Die rund 15 Tandems erfanden extrem fantasievolle Geschichten», erzählt Rhea Braunwalder. Ein Beispiel: Vor einer Sänfte stehend habe sich die Gruppe eine Anekdote über die Ursprünge des Joggens angehört. Die Museumsdirektorin Heidi Pechlaner habe die fesselnde Geschichte dann mit historischen Fakten ergänzt.

Reflexive und persönliche Erzählform
Dinge und Geschichten können Aufhänger und Inspirationsquelle für biografische Erzählungen sein. Wer schon einmal an einem Erzählcafé teilgenommen hat, kennt die besondere Dynamik, die das Geschichtenerzählen auslöst. Rhea Braunwalder erzählt ein weiteres Beispiel: «Als wir in einer Ausstellung zur Haute Couture vor einer Schublade in einer Vitrine standen, nahm die Gruppe den Faden auf und erzählte über persönliche Ordnung und Unordnung, über private Schubladen, mentale Schubladen und auch Erinnerungen zu Schubladen der Kindheit.»

Neue Perspektiven
Rhea Braunwalder fasst den neuartigen Anlass zusammen: «Wir wollten ausprobieren, wie sich mehrere Erzählformate kombinieren lassen. So können wir neue Bevölkerungsgruppen ansprechen und den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft stärken. Auch die Teilnehmenden empfanden den Anlass als wertvoll. Eine Teilnehmerin meinte, es brauche Selbstsicherheit und Vertrauen, um freimütig aus dem eigenen Leben, oder auch erfundene Geschichten zu erzählen. Doch es lohne sich, denn der kreative Austausch und das Erfahren von neuen Lebenswelten und Perspektiven mache einfach Spass.

Möchten Sie selber einen Anlass organisieren?
Wenn Sie einen GiM-Anlass, ein Erzählcafé oder eine Kombination der beiden Formate in Ihrer Region umsetzen möchten, unterstützen wir Sie gerne. Melden Sie sich bei rhea.braunwalder@netzwerk-erzaehlcafe.ch oder duerr@generationen-im-museum.ch.

Das historische Museum Baden: Ein Ort zum Erzählen
Das Historische Museum Baden legt den Fokus in seinen Ausstellungen und Veranstaltungen auf den Austausch unter den Menschen in der Bäder-, Industrie- und Tagsatzungsgeschichte. Im altehrwürdigen Landvogteischloss finden sich sorgfältig möblierte Schlossräume, die dazu einladen, in Lebenswelten vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert einzutauchen. In zwei Sonderausstellungen pro Jahr stehen gesellschaftlich relevante Themen mit starkem Gegenwartsbezug im Vordergrund: lokal verankert – von globaler Bedeutung.

Die erfahrene Moderatorin Manuela Kohli-Wild aus Wollishofen gibt Tipps für ein gelungenes Erzählcafé im Quartier: von der Raumsuche über die Verpflegung bis zum Ablauf.

 

Welches Format eignet sich fürs Quartier?

Manuela Kohli-Wild: Wir haben ein Format entwickelt, das wir «Erzählcafé zu Gast» nennen. Es findet immer an einem anderen Ort statt: Im Gemeindezentrum, im Claro-Laden, im Altersheim oder in einem Café – einmal pro Jahr sind wir sogar im Chorraum der alten Kirche zu Gast.

Wo finde ich einen guten Raum und mit welchen Kosten muss ich rechnen?

Suchen Sie sich Gastgeber, die den Raum kostenlos zur Verfügung stellen. Gemeinde- oder Alterszentren, Cafés, Läden, Kirchen oder Jugendorganisationen sind meistens offen dafür. Schauen Sie den Raum vorgängig an: Hat er ein angenehmes Ambiente, gibt es genügend Stühle, einen grossen Tisch, Mineralwasser, ein WC in der Nähe?

Wie motiviere ich einen Gastgeber, seinen Raum zur Verfügung zu stellen?

Meist ist es eine Win-Win-Win-Situation: Das Tertianum beispielsweise kann den Betrieb Interessierten zeigen, die Bewohnerinnen und Bewohner können am Erzählcafé mitmachen und wir bekommen einen kostenlosen Raum. Unsere Gastgeber spendieren in der Regel auch Kaffee und Kuchen.

Wie lade ich zum Erzählcafé ein?

Setzen Sie auf Mund-zu-Mund-Propaganda. Bauen Sie eine Verteilerliste auf und verschicken Sie einen Flyer – mit der Aufforderung, Angehörige und Bekannte mitzubringen. Man kann das Erzählcafé in der Agenda des Netzwerks ausschreiben und es im Quartier an schwarzen Brettern oder über soziale Netzwerke (z.B. Facebook-Event) kommunizieren.

Was ist bezüglich Werbung wichtig?

Auf unseren Flyer drucken wir immer das Logo des Netzwerks Erzählcafé, denn dieses Qualitätslabel garantiert die Einhaltung der Charta.

Wie kann man Hemmschwellen abbauen?

Die Leute werden gerne angesprochen und persönlich involviert. Wichtig ist auch immer, dass man betont, dass die Teilnahme am Erzählcafé nichts kostet und man sich weder an- noch abmelden muss.

Wie finde ich ein Thema?

Lassen Sie sich von den Themen in der Agenda des Netzwerks Erzählcafé inspirieren! Spannend sind auch immer Themen, die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verknüpfen.

Braucht es Getränke und Essen?

Ja, für den ersten, moderierten Teil des Erzählcafés braucht es Mineralwasser. Im zweiten Teil können Sie zum Beispiel Kaffee und Kuchen anbieten. Es ist ganz wichtig, die beiden Teile zu trennen, damit das Erzählcafé nicht zu einem «Plaudertreff» verkommt. Wenn man schon am Anfang Kuchen isst, werden oft die Verhaltensregeln nicht eingehalten und alle sprechen durcheinander.

Wie kann ich ein Erzählcafé finanzieren?

Fragen Sie im Quartier herum, wer Gastgeber sein möchte. Das Lokal hat dann auch die Möglichkeit, sich zu präsentieren. Machen Sie aber genau ab, wie lange und in welcher Form der «Werbeblock» sein darf.

Wieviele Teilnehmer sind ideal?

Eine ideale Grösse sind 15 Personen, damit es lebendig zu und her geht. Bei mehr Personen empfehle ich zwei Moderator*innen. Eine kleine Gruppe kann auch sehr spannend sein.

Ihr wichtigster Tipp für die Moderation?

Moderieren Sie aktiv: Erklären Sie die Moderationsregeln und achten Sie darauf, dass keine langen Monologe entstehen oder das Gespräch abschweift. Ich empfehle auch, pünktlich anzufangen und aufzuhören. Je genauer der Rahmen eingehalten wird, desto besser kann man sich entfalten.

Förderprogramm

Im Jahr 2019 fördern wir Erzählcafés, deren Zielgruppen bisher wenig berücksichtigt und angesprochen wurden und/oder deren Rahmen innovativ ist. Wir unterstützen die Erzählcafés in Form eines Porträts auf unserer Website und einem einmaligen Förderbeitrag in der Höhe von 500 Franken. Bewerben Sie sich!

Auch dieses Jahr stand das Werkstattgespräch unter einem speziellen Thema, und zwar «Erzählen – Zuhören – Resonanz erfahren». Im folgenden Artikel geben wir einen Überblick, was für Hartmut Rosa Resonanz bedeutet und wie es zu unseren Tätigkeiten mit Erzählcafés in Bezug steht.

 

Was bedeutet es, Resonanz zu erfahren? 
In seiner Soziologie der Weltbeziehung – wie wir als Person mit der Welt in Verbindung treten – stellt der Soziologe Hartmut Rosa fest, dass unsere Gesellschaft immer mehr auf Weltaneignung aus ist. In unserem Streben nach Optimierung, Steigerung und Ressourcengewinn als Kriterien des «guten Lebens» stelle sich das Gegenteil ein: die Entfremdung. Dem gegenüber stellt Rosa die Resonanzerfahrung als Beziehungsmodus zu anderen Menschen, Tieren, zu unserer materiellen Umwelt oder auch zum Leben und der Natur an sich.

Resonanz im Erzählcafé: Bedeutet Resonanz Harmonie? Und kann Stille auch eine Form von Resonanz sein?

In einem Erzählcafé stehen verschiedene Lebenserfahrungen nebeneinander. Die Art und Weise, wie eine Erfahrung erzählt wird, der Inhalt und andere Faktoren beeinflussen unsere Reaktion auf die Erzählungen unserer Mitmenschen. Resonanz im Erzählcafé heisst nicht, alle Geschichten und Menschen sympathisch finden zu müssen. Eher beinhaltet Resonanz eine Grundhaltung, bei der es kein Wahr oder Falsch gibt und bei der man nicht wertet. So kann Widerstand auch eine Art von Resonanz sein.

Resonanz heisst, seine Stimme hörbar zu machen, sich aufs Spiel zu setzen und sich verwundbar zu machen, in einem Prozess, von dem man nicht weiss, was das Ergebnis ist. Wenn wir uns jedoch unter Druck gesetzt fühlen, etwas sagen zu müssen, werden wir kaum Momente der Resonanz erleben. Momente der Stille, in denen die Arbeit mit der eigenen Biografie stattfindet, oder in denen das Gesagte nachwirkt, sind Resonanzerfahrungen mit sich selbst und somit nicht als Abgrenzung abzuwerten. Für Hartmut Rosa sind institutionelle und soziale Räume, die einen Rahmen für Resonanzbeziehungen ermöglichen, wesentlich. Die Methode des Erzählcafés stellt so einen Raum durch die Moderation her.

Zum Abschluss

Einen gefüllten Tag mit vielen Eindrücken und Inputs haben wir als Team Netzwerk Erzählcafé nicht mit einer Zusammenfassung schliessen wollen. Dafür jetzt im Nachgang ein persönlicher Aha-Moment: Für mich als Moderatorin wurde klar, dass es nicht darum geht, beim Moderieren Resonanz zu verspüren – persönlich fällt es mir sogar schwer, da ich gleichzeitig den roten Faden stricke, die Gruppendynamik beobachte und die Uhr im Blick halte. Es geht darum, dass ich Voraussetzungen schaffe, in denen Resonanzerfahrungen entstehen können.

Durch eine vertrauliche Atmosphäre und eine nicht-wertende Grundhaltung können wir als ModeratorInnen und VeranstalterInnen Bedingungen für Resonanz schaffen, aber sie schlussendlich nicht erzwingen. Wir schaffen Räume, die Resonanz ermöglichen und vereinfachen. Und zuletzt sollten wir uns auch hüten, Resonanz als Messkriterium für ein erfolgreiches Erzählcafé zu sehen und die Unverfügbarkeit der Resonanz zu geniessen und zu akzeptieren.

Autorin: Rhea Braunwalder

Literatur:

Hartmut Rosa (2018)  Unverfügbarkeit. Verlag: Residenz-Verlag.

Hartmut Rosa (2016): Resonanz – Eine Soziologie der Weltbeziehung. Verlag: Suhrkamp.

Rückblick

Am 28. März 2019 fand in Zürich das 5. Werkstattgespräch «Erzählen-Zuhören-Resonanz erfahren» mit ungefähr 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus der Schweiz, Österreich und Deutschland statt. Nebst der Möglichkeit, ein Erzählcafé zu erleben, stand das Thema «Resonanz» im Vordergrund – erläutert vom Soziologen und Buchautor Hartmut Rosa. Ein Büchertisch der Pro Senectute Bibliothek und viel Zeit für den Austausch zu Erzählcafé-bezogenen Fragen rundeten das Angebot ab.

In der Dokumentation finden Sie Eindrücke von TeilnehmerInnen, eine Beschreibung der durchgeführten Erzählcafés vor Ort, einen thematischen Input zum Thema «Resonanz» und alle Tagungsdokumente. Viel Spass beim Stöbern!

Tagungsdokumente

Flyer

Präsentation

Zusammenfassung des Referats von Hartmut Rosa

Festgehalten: Einblick in 10 Erzählcafés

Fotoprotokoll (Flipcharts)

Medienliste Pro Senectute Bibliothek

O-Ton

Interview mit Sina Florin

Interview mit Rita Gerstenauer

Interview mit Karl Weingart

Impressionen

 

 

Rückblick

Ca. 95 Teilnehmende schalteten sich aus Deutschland, Österreich und der Schweiz  zum Werkstattgespräch am 15.03.2021 dazu. Die teilnehmenden hatten die Möglichkeit sich in einem digitalen Foyer locker auszutauschen, bevor die Hauptveranstaltung losging. Gemeinsam wurde überlegt was ein Erzählcafé auf psychologischer, bildungswissenschaftlicher und geschichtlicher Ebene bewirkt. Frau Prof. em. Dr. Brigitte Boothe lieferte einen inhaltlichen Input basierend auf ihren eigenen Erfahrungen in einem Erzählcafé zum Thema „Nachbarschaft“. Die Teilnehmenden hatten die Möglichkeit aus 12 Schnuppererzählcafés zu wählen. Die drei Zugänge zum Thema waren anregend und eine Folgeveranstaltung ist in Planung.

Podcast-Reihe: Das Erzählcafé auf dem Prüfstand

Die Inputs unserer Referierenden haben wir aufgenommen. Viel Spass beim Nachhören!

Impuls von Brigitte Boothe: „Ein Erzählcafé mit dem Thema Nachbarn – Nachbarschaft“

Historischer Zugang zu Erzählcafés (Gert Dressel)

Bildungswissenschaftliche Sicht auf Erzählcafés (Bettina Dausien)

Psychologische Sicht auf Erzählcafés (Brigitte Boothe)

Schlussgespräch

Tagungsdokumente

Flyer und Programm

Präsentation von Prof. em. Dr. Brigitte Boothe

Moderations-Slides

Zusammensetzung der Teilnehmenden