Gemeinsam auf dem Schulweg

Die Pedibus-Koordination des Kantons Waadt nutzt das Erzählcafé für den Generationen übergreifenden Austausch. Jüngere und ältere Menschen erzählen sich Anekdoten und Erfahrungen, die sie auf dem Schulweg machen oder an die sie sich erinnern. Das stärkt die Beziehungen im Quartier und den Zusammenhalt der Generationen. Die Pedibus-Koordinatorin Vanessa Merminod sagt, wie der Pedibus funktioniert und welche Themen am Erzählcafé aufkamen.

 

Interview: Anne-Marie Nicole

Frau Merminod, was ist ein «Pedibus»?

Vanessa Merminod: Der Pedibus ist ein System zur Begleitung von Kindern zwischen 4 und 8 Jahren. Eine erwachsene Person begleitet die Kinder zu Fuss zur Schule. In der Regel sind es die Eltern, die ihre Kinder abwechselnd auf der Pedibus-Route begleiten. Mit einem Generationen übergreifenden Pedibus wollen wir nun auch die Seniorinnen und Senioren ermuntern, als Begleitpersonen mitzumachen. Das fördert die körperliche Mobilität, hält fit und schafft Zusammenhalt.

Sie haben für den Generationen übergreifenden Dialog das Erzählcafé gewählt. Warum?

Unser Ziel war es, die Beziehungen zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen zu stärken. Es sind Menschen unterschiedlicher Generationen, die sich nicht unbedingt kennen, aber im selben Quartier wohnen. Das Erzählcafé ist eine gute Möglichkeit, ältere Menschen und Kinder zusammenzubringen. So haben sie die Gelegenheit, sich auszutauschen und ihre Erfahrungen und Geschichten zu einem Thema zu teilen, das für alle relevant ist – oder früher war: der Schulweg.

Wie liefen diese speziellen Erzählcafés ab?

Anfang Februar 2023 haben wir zwei Erzählcafés im Seniorentreffpunkt «Centre du Panorama» in Vevey organisiert. Die Seniorinnen und Senioren haben die Kinder und deren Eltern «zu sich» eingeladen, sprich an einen ihnen vertrauten Ort. Das Angebot kam so gut an, dass wir zwei Erzählcafés mit jeweils zwanzig Personen auf die Beine stellten! Sie wurden von Daniela Hersch und Evelyne Mertens moderiert. Im Rahmen einer ausserschulischen Aktivität haben wir noch ein drittes Erzählcafé in Morges veranstaltet. Dabei haben die Kinder die Seniorinnen und Senioren «auf ihrem Gebiet» empfangen. Um das Gespräch in Gang zu bringen, haben die Moderatorinnen Bilder zum Thema «Schulweg» mitgebracht. Am Ende des Erzählcafés haben alle eine Znüni-Box geschenkt bekommen – ein Erinnerungsstück, über das sich alle Generationen freuen!

Wie waren die Reaktionen aufs Erzählcafé?

Die Erzählcafés haben grossen Anklang gefunden und wir haben überaus positive Rückmeldungen bekommen. Die Seniorinnen und Senioren haben sich gefreut, bei einer Generationen übergreifenden Aktivität mitzumachen. Und den Kindern hat es Spass gemacht, mal etwas Ungewohntes zu erleben. Alle haben ihre Geschichten zum Schulweg mit Begeisterung erzählt. Der Schulweg ist einfach ein Thema, das sich perfekt für alle Generationen eignet. Die zu Beginn des Erzählcafés aufgestellten Regeln sind gut angekommen, vor allem jene, dass man zuhören, aber nicht sprechen muss. Selbst die zurückhaltendsten Teilnehmenden haben durch das Anhören der Geschichten der anderen Vertrauen gefasst und selbst erzählt. Und es war erstaunlich: Sogar die Allerjüngsten waren volle 45 Minuten lang aufmerksam!

Gibt es einen Moment, an den Sie sich besonders erinnern?

Ja! Egal zu welcher Zeit, der Schulweg scheint immer ein besonderer Moment für Freundschaften gewesen zu sein. Die Erzählung einer Sozialarbeiterin um die zwanzig, die die Kinder begleitete, knüpfte an die Erzählung einer Seniorin an, die erzählte, dass sie den Schulweg immer mit ihrer besten Freundin zurückgelegt hat. Die beiden sind ihr Leben lang beste Freundinnen geblieben. Auch ich erinnere mich an diesen Moment, wo man sich alles erzählt hat. Ein Kind wiederum erzählte, dass sein Freund weggezogen sei und es traurig ist, den Schulweg nicht mehr gemeinsam mit ihm zurücklegen und ihm nicht mehr seine Geschichten erzählen zu können.

Fanden Sie es auch herausfordernd?

Wir spüren immer noch die Nachwirkungen der Covid-19-Pandemie. Bestimmte Aktivitäten müssen erst wieder anlaufen. Sowohl in Vevey als auch in Morges ist uns bewusst geworden, wie wichtig der Ort ist, an dem die Aktivität stattfindet; vor allem, weil es sich um eine neue Aktivität handelt. Die familiäre Umgebung half sowohl den Seniorinnen und Senioren, als auch den Kindern, Vertrauen zu fassen. Auch wenn die Kinder mitunter schüchterner sind, wenn es darum geht, das Wort zu ergreifen! Dann war da noch die Frage der Parität der Teilnehmenden. Aufgrund der Orte, die wir für die Erzählcafés gewählt haben, haben in Vevey mehr Seniorinnen und Senioren teilgenommen und in Morges mehr Kinder. Das Organisatorische hatte auch einen Einfluss auf den Ablauf der Erzählcafés. In Morges mussten wir zum Beispiel den Imbiss vor dem Austausch einplanen. Dadurch sind die Teilnehmenden aber gleich einmal in Kontakt gekommen, was es ihnen danach erleichtert hat, das Wort zu ergreifen.

Wie geht es weiter?

Wir wollen auf jeden Fall weitere Erzählcafés und parallel dazu künstlerische Aktivitäten und Spaziergänge in der Natur anbieten. All diese Dinge stehen mit den Werten des Pedibus im Einklang: gesellschaftlicher Zusammenhalt, Gemeinschaftsgefühl, Sicherheit und Generationen übergreifende Beziehungen.

Vanessa Merminod

Vanessa Merminod ist die Koordinatorin von Pedibus Waadt. Ihre Aufgabe ist es, den Pedibus im Kanton mit verschiedenen Aktionen bekannter zu machen. Sie arbeitet auch mit den Gemeinden, Schulen und der Polizei zusammen. Weiter  sensibilisiert sie die Eltern und begleitet diese bei der Lancierung von Pedibus-Routen.