2023 veranstaltete das Musée d’ethnographie de Genève (MEG) im Rahmen der Sonderausstellung «Être(s) ensemble» vier Erzählcafés zu unterschiedlichen Themen. Sie drehten sich rund um die Kommunikation zwischen verschiedenen Arten von Lebewesen und die Beziehungen zwischen Menschen, Pflanzen und Tieren. Julie Dorner* blickt zurück und gibt ihre Erfahrungen weiter.

Foto: MEG

Interview: Anne-Marie Nicole

Julie Dorner, was ist das MEG?

Das Musée d’ethnographie de Genève ist eine Institution der Stadt Genf, das Sammlungen mit Objekten, Büchern und Dokumenten zu den Kulturen der fünf Kontinente beherbergt. Was das Museum so besonders macht, sind die umfangreichen Sammlungen an Musikinstrumenten und Tonaufnahmen. Das Museum befindet sich im Stadtteil La Jonction und verfügt über mehrere Räumlichkeiten, die für unterschiedliche Zielgruppen als Erlebnisorte dienen können: der Garten, das Café, die Ausstellungsräume, aber auch das Foyer, in dem Aktivitäten, Workshops, Konzerte, Performances usw. stattfinden.

Warum haben Sie für die Sonderausstellung «Être(s) ensemble» Erzählcafés eingesetzt?

Mir persönlich war es immer wichtig, im Anschluss an die Ausstellungen Diskussionsmöglichkeiten anzubieten, um Abstand zu den wissenschaftlichen Konzepten zu gewinnen und Raum für den Austausch über die Erzählungen und Erlebnisse der Menschen zu lassen. Während meiner Ausbildung in Kulturvermittlung sind mir die Erzählcafés begegnet. Das Format ist interessant, weil es einen Rahmen für die Diskussion und den Austausch von Erfahrungen bietet. Und in unserem Fall entspricht es perfekt dem Anliegen der Ausstellung «Être(s) ensemble»: Wir Menschen sind alle mit unserer Umwelt verbunden. Das Erzählcafé bot den Teilnehmenden die Möglichkeit, sich mit ihrer Beziehung zu allen Lebewesen auseinanderzusetzen und ihre Geschichten und Erfahrungen im Zusammenhang mit Pflanzen oder Tieren zu teilen.

Sie haben die «Antenne sociale de proximité» in das Projekt Erzählcafés einbezogen. Warum?

Für das MEG bietet eine Partnerschaft je nach Projekt bereichernde Möglichkeiten. Eine unserer Herausforderungen besteht darin, zu verstehen, wie wir auf das Publikum zugehen und das Museum zu einem Ort der Diskussion und des Austauschs im Quartier machen können. Hier spielt die Frage der Zugänglichkeit eine wichtige Rolle: Das MEG befindet sich in einem sehr belebten und beliebten Quartier und hat ein eher elitäres Image, was es zuweilen unnahbar macht. Die Partnerschaft zwischen dem Sozialdienst und dem MEG ermöglicht es einerseits, Menschen ins Museum zu bringen, die sonst nicht kommen würden, und andererseits unserem Stammpublikum die Möglichkeit zu geben, an einer anderen Art von Veranstaltung teilzunehmen. Auf diese Weise trägt das Museum auch zum Zusammenleben und zum gesellschaftlichen Zusammenhalt im Quartier bei.

Sie haben vier Erzählcafés veranstaltet, jedes zu einem anderen Thema – unsere Beziehung zu Lebewesen, Pflanzen und wir, Tiere und wir, das Zusammenleben und das Glücklichsein. Fanden sie Anklang?

Ja, ich war angenehm überrascht. Die Erzählcafés fanden jedes Mal an einem anderen Ort im Quartier statt. Es haben sehr viele Menschen teilgenommen. Die Erzählungen über die Beziehung zu Pflanzen haben mich unglaublich berührt, obwohl wir anfangs davon ausgingen, dass dieses Thema am wenigsten gut ankommen würde. Bei den Geschichten rund um Tiere haben wir sehr viel gelacht. Ich freue mich sehr über das Interesse und die Begeisterung für diese Art von Treffen und das positive Feedback der Teilnehmerinnen und Teilnehmer.

Gab es bei der Umsetzung dieser Erzählcafés spezielle Herausforderungen?

Die Auswahl der Themen war sicherlich eine grosse Herausforderung. Wir wollten nämlich Themen anbieten, die Lebenserzählungen und den Austausch von Erfahrungen fördern, dabei thematisch aber auch zur Ausstellung passen. Ausserdem war es uns wichtig, allzu theoretische Diskurse und Ideendebatten zu vermeiden. Und es galt auch, unser Publikum zu finden, noch dazu eines, das sich von dieser Art des Austauschs angesprochen fühlt und Lust hat, daran teilzunehmen. Im Museum haben wir versucht, Diskussionsmöglichkeiten anzubieten. Sie waren im Gegensatz zu den geführten Besichtigungen aber nur mässig erfolgreich.

Planen Sie, weitere Erzählcafés anzubieten?

Diese ersten Erzählcafés können als Pilotprojekt betrachtet werden. Wir werden sehen, wie es weitergeht… Wenn wir das Ziel des gesellschaftlichen Zusammenhalts und des Zusammenlebens im Quartier weiterverfolgen wollen, ist das Erzählcafé sicherlich ein Format, das wir in Betracht ziehen könnten. Es müsste dann regelmässig angeboten werden. Wie wir es üblicherweise bei kulturvermittelnden Aktivitäten im Quartier ausserhalb des Museums tun, werden wir auch hier überlegen müssen, wie wir die Erzählcafés stärker mit dem Museum verknüpfen können. Indem es Raum für Diskussion schafft, kann das Museum dabei mitwirken, die sozialen Bindungen zwischen Generationen und zwischen Bevölkerungsgruppen zu fördern.

 

* Julie Dorner hat einen Master in Ethnologie und ist Kulturvermittlerin im MEG.

Das Netzwerk Erzählcafé erarbeitet laufend Leitfäden für Moderator*innen. Diese sollen Sie bei der Themenwahl und bei der Vorbereitung eines Erzählcafés unterstützen. Bisher verfügbar sind:

Entdecken Sie die Leitfäden und geben Sie uns gerne Feedback: info@netzwerk-erzaehlcafe.ch

Das Magazin The Philanthropist verschickte am 22. Juni 2024 eine Beilage der NZZ an ca. 65’000 Haushalte und stellte die Online-Spendenaktion Mentale Gesundheit stärken vor. Porträtiert wurde auch das Netzwerk Erzählcafé. Wer möchte, kann hier eine kleine Spende tätigen. Ihr unterstützt so unsere Vereinsarbeit. Vielen Dank!

Wir freuen uns, für unser neues Projekt «Erzählcafés im Alter» auf die finanzielle Unterstützung der Walder Stiftung und der Paul Schiller Stiftung, Zürich zählen zu können:

  • Die Walder Stiftung fördert Projekte, die zu einer optimalen Lebens- und Wohnqualität im Alter beitragen.
  • Die Paul Schiller Stiftung, Zürich unterstützt gemeinnützige Projekte, die eine nachhaltige Entwicklung anstreben, eine integrative Gesellschaft fördern, multiplikative Wirkung haben, aktuell und im allgemeinen Interesse sind.

In den nächsten zwei Jahren werden wir mit relevanten Organisationen im Altersbereich die Erzählcafés in den Pilot-Regionen verankern.

Biografisches Erzählen fördert gerade auch im Alter die Aufrechterhaltung der individuellen Identität und die soziale Teilhabe. Anne-Marie Nicole, Koordinatorin des Netzwerks Erzählcafé in der Romandie (im Bild), berichtet im Magazin Artiset von ihren Erfahrungen mit Erzählcafés in verschiedenen Settings, zum Beispiel im Pflegeheim.

Zum Artikel

Die #Freundschaftsinitiative von Migros-Engagement war erfolgreich: Unter anderem veranstaltete das Netzwerk Erzählcafé mehrere Erzählcafés zum Thema Freundschaft. Die Moderierenden teilen ihr Feedback hier auf dem Schwarzen Brett.

Mehr Einblicke ins Thema gibt auch Sylvia Hablützel im Interview.

Am Freitag, 22. März 2024, findet die Mitgliederversammlung 2024 statt. Anschliessend treffen wir uns zum Mittagessen und zum Werkstattgespräch. Mit dabei sind spannende Referent*innen, die je einen Kurz-Input zum Thema «Respekt üben – und wie?» geben:

 

  • Sentitreff Luzern: «Wie wir Respekt leben und verstehen – aus dem Treffpunkt im BaBeLQuartier»
  • Brigitte Rychen, Fachstelle PEP: «Respekt für die Vielfalt von Körperbildern»
  • «Respekt zwischen den Generationen»
  • Pro Infirmis Ticino e Moesano: «Ti rispetto – scrivo un testo in lingua facile» (in leichter Sprache)

Im Anschluss haben wir viel Zeit für den persönlichen Austausch und ein Schnuppererzählcafé.

Das Programm finden Sie im Flyer. Wir freuen uns, Mitglieder und Interessierte zum Werkstattgespräch in Luzern zu begrüssen! Melden Sie sich gleich an.

 

Das Netzwerk Erzählcafé und Migros-Engagement bieten im Rahmen der #Freundschaftsinitiative eine Reihe von Erzählcafés zum Thema «Freundschaft» an. Natalie Freitag, die das Netzwerk Erzählcafé in der Deutschschweiz koordiniert, hat mit Silvia Hablützel gesprochen. Die erfahrene Moderatorin aus Appenzell Ausserrhoden erzählt, was ihr persönlich Freundschaft bedeutet.

Interview: Natalie Freitag
Foto: zVg

Natalie Freitag: Silvia, was bedeutet Freundschaft für dich? Wie wichtig ist dir Freundschaft?

Silvia Hablützel, Fachfrau Pflege und Gesundheit und Moderatorin aus Herisau: Sie ist mir sehr wichtig. Menschen sind mir sehr wichtig. Begegnungen, Austausch haben, zusammen durch die Höhen und Tiefen des Lebens gehen. «Es sind die Begegnungen mit Menschen, die das Leben lebenswert machen»: Dieses Zitat von Guy de Maupassant sagt für mich sehr viel aus.

Hast du eine langjährige Freundschaft? Oder eine ganz neue? Wie und wo kam es zu diesen Freundschaften?

Es gibt alte Freundschaften, die zu einer bestimmten Zeit des Lebens für mich sehr wichtig und intensiv waren, zum Bespiel aus der Zeit der Ausbildung, als wir zusammen Visionen und Träume teilten. Ich habe aus dieser Zeit drei Freunde*innen, die mich durchs Leben begleitet haben. Durch sie habe ich auch meinen Mann kennengelernt, als wir gemeinsam Trauzeug*innen waren an der Hochzeit einer dieser Freundinnen. Mit alten Freunden verbinden mich Geschichten, Erlebnisse und Erfahrungen. Das schweisst zusammen. Es gibt aber auch neue Freundschaften in meinem Leben – das Neue, einander kennenlernen und entdecken können, das ist spannend. Es gibt auch Freundinnen, die ich lange Zeit nicht sehe und keinen Kontakt habe, dennoch bleibt die emotionale Verbindung gegenseitig bestehen und wir wissen, dass wir jederzeit füreinander da sind.

Gab es auch Freundschaften, die mit der Zeit auseinandergingen?

Das gab es auch. Eine Freundschaft endete abrupt, von viel Kontakt zum totalen Kontaktabbruch. Schmerzliche Erfahrungen und Trennungen gehören eben auch zum Thema Freundschaften.

Bist du eine gute Freundin? Was tust du dafür?

Ja, das würde ich sagen. Ich habe ein offenes Ohr, habe Zeit, bin da. Zuhören, laut denken und eine Sparring-Partnerin sein, die auch kritisch ist – im Sinne eines Angebots, Beständigkeit, Vertrauen und Pflege der Beziehung durch Zeichen geben, z.B. Briefe schreiben. Und was mir ganz wichtig ist, zusammen zu lachen.

Erzähl uns noch etwas über dich und deine Arbeit mit dem Erzählcafé!

Seit vier Jahren führe ich in Herisau, Heiden und Stein im Kanton Appenzell Ausserrhoden Erzählcafés durch. Dies im Rahmen meiner Anstellung bei Pro Senectute. Erzählcafés bieten die Möglichkeit, einen Teil meines Auftrags für die Gesundheitsförderung im Alter zu erfüllen. Austausch und Gemeinschaft zu ermöglichen, gegen die Einsamkeit. Es entstehen daraus Begegnungen, manchmal Freundschaften. Man kennt sich im Dorf, wenn man sich trifft, geht zusammen auch Kaffee trinken. Was mir ganz besonders gefällt, ist die Tiefe, die Intensität, die im Erzählcafé möglich wird. Man kommt jemandem in nur ein bis zwei Stunden nahe und teilt sehr Persönliches.

Was ist deine Geschichte, die dir spontan in den Sinn kommt zum Thema Freundschaft?

Das ist eine schöne Geschichte: Es war an einem Erzählcafé zum Thema «auf den Hund gekommen». Eine Frau hatte ihre Nachbarin spontan mitgenommen, da ihr Hund gerade an diesem Morgen eingeschläfert werden musste. Es war auch ein Mann anwesend, dem Hunde sehr wichtig waren. Die beiden lernten sich dort kennen und sind heute ein Paar. Jetzt haben sie sich gerade zusammen einen jungen Hund zugelegt.

Zur Person

Silvia Hablützel ist erfahrene Erzählcafé-Moderatorin. Sie ist Pflegefachfrau HF/BScN und Leiterin des kantonalen Programms «Zwäg is Alter» bei Pro Senectute AR. Suchen Sie eine Moderation für Ihr Erzählcafé? Hier finden Sie Kontakte.

Der Verein Netzwerk Erzählcafé blickt auf ein ereignisreiches Jahr 2023 zurück:

  • Es wurden ca. 315 Erzählcafés in der Agenda eingetragen.
  • Der Verein konnte 99 Mitglieder gewinnen.
  • Eine Stakeholderanalyse wurde durchgeführt und eine Liste möglicher Stiftungen und Organisationen für die weitere Finanzierung erstellt.
  • Von Januar bis März 2023 fanden in der Schweiz, Österreich und Deutschland mehr als 10 öffentliche Buchvernissagen des Buchs «Erzählcafés: Einblicke in Praxis und Theorie» statt.
  • Am Werkstattgespräch vom 20. März 2023 in Olten trafen sich ca. 30 Teilnehmende zum Austausch.
  • Vom 17.-19. November 2023 fanden in der ganzen Schweiz die Erzählcafé-Tage 2023 zum Thema «Zuhören» statt.

Erfahren Sie mehr über unser erstes Jahr als Verein im Jahresbericht 2023 (PDF).

Alle Jahresberichte finden Sie hier.

Um lebendige Erzählcafé-Strukturen auf lokaler Ebene zu schaffen, sucht das Netzwerk Erzählcafé regionale Botschafter*innen. Gemeinsam gehen wir auf Institutionen vor Ort zu: Bibliotheken, Quartiervereine, Gemeinden oder Kirchgemeinden zu. Rhea sagt, welche Eigenschaften jemand für die Rolle mitbringen soll und wie die Arbeit entschädigt wird.

 

Warum sucht das Netzwerk Erzählcafé regionale Botschafter*innen?

Rhea Braunwalder: Als neuer Verein wollen wir erreichen, dass noch mehr Menschen Erzählcafés erleben dürfen. Deshalb ist es unser Ziel, in allen Regionen der Schweiz Erzählcafés zu verankern. Damit dies langfristig und nachhaltig ist, braucht es Menschen vor Ort, die gut vernetzt sind und den Motor am Laufen halten. Es reicht nicht, wenn eine zentrale Stelle in jedem Winkel des Landes einmalig Erzählcafés organisiert.

Wer kann sich bei dir melden?

Ich suche Persönlichkeiten mit Eigeninitiative, die in ihrer Region ein Erzählcafé-Projekt realisieren oder das Erzählcafé als Methode verankern wollen. Die Person sollte gut vernetzt sein, auf andere zugehen können und kommunikativ sein. Gemeinsam sprechen wir die relevanten Akteurinnen und Akteure in der Region an und befähigen die Botschafter*in, selber Erzählcafés anzubieten. Natürlich sollte die Person auch Mitglied vom Verein sein.

Muss man Moderationserfahrung mitbringen?

Moderations-Erfahrung ist von Vorteil, aber vor allem wichtig, ist es Erzählcafés erlebt zu haben und vom Format überzeugt zu sein. Die regionalen Botschafter*innen vernetzen sich mit den Moderierenden in ihrer Region und übernehmen eine Art Schnittstellenfunktion zwischen dem Verein und den Moderierenden. Die Geschäftsstelle steht in engem Kontakt mit der Person und unterstützt sie tatkräftig.

Wie sieht die Arbeit von regionalen Botschafter*innen konkret aus?

Das kann sehr unterschiedlich sein, je nach Region und Möglichkeiten, die eine Person mitbringt. Er oder sie…
  • ist Ansprechperson für Interessierte in der Region.
  • vernetzt neue und erfahrene Moderierende, die im Kanton wohnen.
  • begleitet den Aufbau eines kantonalen Erzählcafé-Netzwerks und ist bereit, Institutionen, Organisationen, Teilnehmende und die Öffentlichkeit zu kontaktieren.
  • unterstützt regionale Einführungskurse und lädt dazu lokale Partner*innen ein.
  • nimmt einmal pro Jahr an einem Austauschtreffen der regionalen Botschafter*innen teil.
  • initiiert ein Erzählcafé-Projekt mit anderen Personen im Quartier.
  • darf als Kontaktperson für die Region auf der Website aufgeführt werden.

 

Wie profitieren Personen, die sich als regionale Botschafter*innen fürs Netzwerk engagieren?

  • Sie besuchen den Kurs «Weiterbildung 2024: Fit für die Begleitung von Moderierenden» vergünstigt.
  • Sie werden vom Netzwerk beraten und unterstützt und stehen mit einer Person aus der Geschäftsstelle in engem Kontakt.
  • Sie werden mit einer Pauschale plus Spesen entschädigt.
  • Sie nehmen kostenlos am Werkstattgespräch und an der Intervision teil.
  • Sie erfahren Wertschätzung.

Bitte schreiben Sie Rhea, wenn Sie in einer Region gut vernetzt sind und das Netzwerk Erzählcafé unterstützen können.