Was passiert, wenn Menschen aus unterschiedlichen Lebenswelten bei Kaffee und Kuchen ins Gespräch kommen? Es entstehen Nähe, Verständnis – und neue Perspektiven. Genau das ist das Ziel unserer Beteiligung an der #vielfaltsinitiative des Migros-Kulturprozents.

Die Schweiz ist bunt. Das Land vereinigt unterschiedliche Sprachen, Kulturen, Generationen und Lebensentwürfe – und doch leben viele Menschen eher nebeneinander als miteinander. Das will die #vielfaltsinitiative ändern.

Erzählcafés schaffen Raum für echte Begegnung. Im Zentrum stehen persönliche Erlebsnisse, zum Beispiel zum Thema Vielfalt: Wie sieht diese im Alltag aus? Wie erleben wir Unterschiedlichkeit? Was verbindet uns trotz aller Unterschiede? Welche Herausforderungen und Chancen bringen sie mit sich? Und was können wir voneinander lernen? Jede:r erzählt von den eigenen Erfahrungen, alle hören zu, ohne Vorurteile. Genau das macht das Erzählcafé so wertvoll.

Miteinander reden statt nebeneinander leben

Um das «Miteinander statt nebeneinander» zu fördern, lanciert der Migros Kulturprozent im Juni einen Wettbewerb, bei dem es 1’000 Gutscheine à 250 Franken zu gewinnen gibt. Samentüten mit QR-Code zum Wettbewerb liegen vom 9.-29. Juni in den Migros-Filialen auf.

Als eine der möglichen Aktivitäten organisieren die Gewinner:innen einen Austausch zum Thema Vielfalt im Alltag. Ob im Wohnzimmer mit Freund:innen, beim Apéro mit Nachbar:innen oder im öffentlichen Raum – jede Erzählcafé-Runde ist einzigartig. Das Besondere: Es braucht keine grosse Bühne, sondern nur Offenheit, Neugier – und vielleicht ein Stück Kuchen.

Mit Unterstützung zum eigenen Erzählcafé

Dank des Migros-Gutscheins können die Gastgeber:innen für das leibliche Wohl sorgen: Kaffee, Apéro oder Blumen auf dem Tisch – alles, was eine gute Atmosphäre schafft.

Neben dem Gutschein gibt es auch konkrete Hilfe bei der Durchführung: In Zusammenarbeit mit dem Netzwerk Erzählcafé wurde ein praktischer Leitfaden mit passenden Gesprächsfragen erarbeitet. Zudem können die Gewinner:innen an einer kostenlosen Online-Einführung teilnehmen, um Sicherheit im Ablauf und Inspiration für die Gesprächsgestaltung zu gewinnen.

Vielfalt beginnt im Gespräch. Mach mit – und bring Menschen zusammen!

Mehr Informationen

Rhea Braunwalder war seit 2017 massgeblich am Aufbau des Netzwerks Erzählcafé beteiligt – zunächst als Projektleiterin und Moderatorin, anschliessend bis März 2025 als Co-Geschäftsführerin. Im Interview mit Vanda Mathis blickt sie auf ihre Erfahrungen in dieser Zeit zurück.

Wie bist du zum Netzwerk Erzählcafé gekommen? Was hat dich damals motiviert, Teil dieses Projekts des Migros Kulturprozents zu werden?

Nach meinem Studium in Ethnologie habe ich mich 2017 beim Migros-Kulturprozent initiativ beworben, weil mich ihre Projekte im Bereich Soziales dynamisch, farbig und lebendig erschienen. Da in meinem Lebenslauf das Stichwort «Erzählcafés» aufgeführt war, luden sie mich für ein Gespräch ein, und stellten mir das Pilotprojekt «Netzwerk Erzählcafé» vor, von dem ich davor nie gehört hatte. So begann ein lehrreiches Praktikum mit Schwerpunkt im Projekt Erzählcafé. Meine erste Aufgabe war es, den Leitfaden «Erzählcafés veranstalten» mitzuverfassen, welches wir übrigens jetzt noch in erneuerter Auflage verwenden. Als das Praktikum fertig war, entschied ich mich für ein Mandat für die weitere Mitarbeit im Projekt.

Wenn du auf die letzten Jahre zurückblickst – welche Meilensteine waren aus deiner Sicht besonders wichtig für das Netzwerk?

Ein wichtiger Meilenstein war 2019 das erste Treffen der Romandie in Lausanne. Damit gelang es uns, den Schritt zum nationalen Netzwerk zu machen. Das Tessin kam 2020 dazu. Ein weiterer Meilenstein war 2023 die Publikation des Buches «Erzählcafés: Einblicke in Praxis und Theorie» unter Herausgeberschaft von Gert Dressel, Johanna Kohn und Jessica Schnelle.

Gab es bestimmte Wendepunkte oder Phasen des Umbruchs oder Aufbruchs?

Aufbruchsstimmung vermittelte uns die erste Finanzierung durch Gesundheitsförderung Schweiz 2020. Eine wichtige Anerkennung war für mich auch, als das Format Erzählcafé 2022 auf die Orientierungsliste der Kantonalen Aktionsprogramme Alter (KAP) aufgenommen wurde.

Inwiefern hat sich das Verständnis von «Erzählcafé» über die Jahre verändert?

Vor allem auch über das Buchprojekt habe ich gemerkt, dass es Varianten in der Durchführung von Erzählcafés im DACH-Raum gibt. Ich würde sagen, die schweizerische Ausprägung mit einem moderierten Erzählteil, gefolgt von einem informellen Kaffeeteil, wie es von Johanna Kohn gelehrt wird, hat sich im Netzwerk gefestigt. In den 10 Jahren des Bestehens des Netzwerks ist es uns gelungen, das Format in bestimmten Kreisen bekannter zu machen, obwohl in anderen Bereichen das Format noch gänzlich unbekannt bleibt.

Gibt es ein oder zwei besonders eindrückliche Momente oder Begegnungen, die dir bis heute in Erinnerung geblieben sind?

Eindrücklich war für mich das 5. Werkstattgespräch 2019, das wir zum Thema «Erzählen-Zuhören-Resonanz erfahren» veranstalteten. Mit der Einladung des renommierten Soziologen Hartmut Rosa zog das Netzwerk Teilnehmende aus der Schweiz, Österreich und Deutschland an. Dies führte zu viel Anerkennung und natürlich einem grossen Motivationsschub für das Team.

Was ich in meiner ganzen Zeit beim Netzwerk sehr geschätzt habe, ist die Zusammenarbeit im Team. Alle stehen mit Herzblut hinter der Sache. Dieses Engagement meiner Kolleginnen und Kollegen war für mich immer spürbar.

Was hat dich im Laufe der Zeit am meisten berührt oder inspiriert?

Wenn ich die ersten Jahresrückblicke anschaue – 2018 umfasste er drei Seiten, 2024 bereits 15 – dann wird mir bewusst, wie sehr wir gewachsen sind und was wir alles erreicht haben!

Welche Rolle spielt das Erzählen für dich persönlich – hat sich deine Sicht darauf verändert?

Erzählcafés sind ein eher langsames Format, es geht um biografisches Erzählen und wertfreies Zuhören. Jedes Mal, wenn ich das erleben durfte, wurde mir das Lernpotential bewusst: Man kann aus den Erfahrungen anderer viel für das eigene Leben mitnehmen. Die persönlichen Geschichten machen auch Konstanten deutlich, man erkennt sich in eigenen Erzählungen plötzlich wieder und sie legen viele individuelle Ressourcen offen. Diese Ressourcenorientierung ist für mich ein zentrales Merkmal von Erzählcafés: Wie hat jemand eine Situation bewältigt, wie erzählt sie davon?

Welche Herausforderungen sind dir in den Jahren begegnet – sei es im Netzwerk, in der Organisation oder bei einzelnen Erzählcafés?

Nicht ganz einfach ist die Frage, wie man die Bekanntheit des Formats Erzählcafé fördern kann. Wie und wo findet man Teilnehmende? Wie bringe ich Personen dazu, es einfach einmal auszuprobieren? Denn nur so lässt sich wirklich erleben, welches Potential das Format hat. Herausfordernd ist sicher auch der Übergang von einer vollständigen Finanzierung durch den Migros Kulturprozent zu einer eigenständigen finanziellen Basis. Dieser Prozess ist noch am Laufen.

Gab es auch Momente des Zweifelns oder Fragens – und was hat dich dann motiviert weiterzumachen?

Zweifel kommen schon auf, wenn jemand ein Erzählcafé organisiert – und es kommt niemand. Aber die vielen positiven Rückmeldungen, die es von gelungenen Erzählcafés gibt, motivieren uns weiterzumachen. Für mich persönlich blieb es spannend, weil ich immer wieder neue Dinge gefunden habe, die ich anders oder besser machen konnte.

Welche Wirkung hat das Projekt deiner Meinung nach auf die Teilnehmenden, aber auch auf die Gesellschaft?

Menschen haben ein Mitteilungsbedürfnis, und manche haben leider nicht wirklich gute Zuhörende im Umfeld. Das Erzählcafé gibt Teilnehmenden das Gefühl, gehört zu werden. Und die Teilnehmenden können viel voneinander für das eigene Leben lernen. Ich sehe Erzählcafés als eines von verschiedenen Formaten, die den Dialog und Austausch in einer Gesellschaft fördern können.

Was hat sich durch das Netzwerk in deinem beruflichen oder privaten Umfeld verändert?

Persönlich habe ich viel gelernt. Vor allem das nationale, dreisprachige Umfeld, die Weiterbildungen zur Erzählcafé und Art of Hosting Moderatorin und der Austausch mit verschiedenen Projekten des Migros-Kulturprozents haben meine berufliche Weiterentwicklung Richtung Soziales, Gesundheitsförderung und Freiwilligenarbeit stark geprägt.

Was wünschst du dir für die Zukunft des Netzwerks?

Mit der Vereinsgründung 2022 war es zuerst wichtig, neue, zielführende Strukturen zu bilden. Die bestehen inzwischen und funktionieren gut. Für mich stellt sich nun die Frage nach der Rolle der Vereinsmitglieder: Sollen alle Aktivitäten von der Geschäftsstelle ausgehen oder wollen wir die Ressourcen unserer Mitglieder besser nutzen im Sinne von peer-to-peer, zum Beispiel für den Austausch von Erfahrungen, der Organisation von Veranstaltungen? Können wir von ihnen freiwilliges Engagement erwarten?

Gibt es etwas, das du anders machen würdest – mit dem Wissen von heute?

Mit dem Wissen von heute würden wir wohl nichts anders machen – aber schneller entscheiden. Manchmal hat es lange gebraucht, bis wir wussten, wie wir vorgehen wollten.

Gibt es etwas, das du dem Netzwerk oder den Menschen, die heute dazukommen, mitgeben möchtest?

Ich wünsche allen ein herzliches Willkommen und dass sie mit Erzählcafés Spass haben und vom Wissen im Netzwerk profitieren können. Es ist sehr lehrreich, wenn man sich gegenseitig in Erzählcafés besucht und danach gemeinsam reflektieren kann. Und auch, dass der internationale Austausch mit unseren Partnern in Deutschland und Österreich, der seit Beginn besteht, weitergeführt wird.

Le premier café-récits organisé à la Bibliothèque de Montreux-Veytaux a suscité beaucoup d’intérêt et d’enthousiasme (Bibliothèque Montreux-Veytaux)

Das BiblioWeekend 2025 bot die Gelegenheit, Erzählcafés vorzustellen und die Bedeutung von Bibliotheken als gesellige Orte, die den sozialen Zusammenhalt fördern, hervorzuheben. Das Team der Bibliothek von Montreux-Veytaux entschied sich dieses Jahr dafür, ein erstes Erzählcafé zum Thema «Unsere Lesegeschichten» durchzuführen. Die Direktorin, Laure Meystre, drei Bibliothekarinnen und acht Leserinnen der Bibliothek nahmen daran teil. Im Anschluss stellte sich Laure Meystre einigen Fragen.

Das Gespräch führte Evelyne Mertens*

Dies ist das erste Erzählcafé, das in der Bibliothek von Montreux-Veytaux organisiert wurde. Was hast du erwartet?

Ich hatte vor allem Lust, mich überraschen zu lassen. Ich hatte mich nicht weiter mit der Frage beschäftigt, was passieren würde. Dann merkte ich jedoch, dass ich ein wenig verwirrt war, als die Nutzerinnen und Nutzer nach Informationen zum Erzählcafé fragten. Die Leute schienen sich vorbereiten zu wollen. Die Erklärung, die du mir im Vorfeld geschickt hast, war sehr klar, und ich habe das Gefühl, dass ich genau das erlebt habe. Es ist wichtig, in den Beschreibungen der Animation transparent zu sein, sonst kann es das Publikum abschrecken.

Das BiblioWeekend findet jedes Jahr auf nationaler Ebene statt. Was sind die Ziele der Bibliothek von Montreux-Veytaux?

Unser Ziel ist es, die Türen für die Öffentlichkeit zu öffnen und einen festlichen Moment zu organisieren, einen Moment mit verlängerten Öffnungszeiten, zu dem jedermann kommen kann. Wir bieten drei Tage (Freitag, Samstag und Sonntag), an denen die Bibliothek im Mittelpunkt steht. Einerseits zeigen wir, dass Bibliotheken nicht nur auf das Lesen ausgerichtet sind, sondern auch Orte des Lebens und der Sozialisierung für Gross und Klein sind. Zum anderen macht das BiblioWeekend auch den Behörden bewusst, was wir tun. Wenn alle Bibliotheken auf nationaler Ebene mitmachen, wird unser Animationsprogramm stärker wahrgenommen.

Ausserdem passte das diesjährige Thema perfekt, um ein erstes Erzählcafé zu moderieren. Jetzt, wo du selbst eines erlebt hast: Warum ist es für eine Bibliothek interessant, eine solche Veranstaltung anzubieten?

Das Konzept der Lebensgeschichte ist etwas, das mich anspricht. Es bietet die Möglichkeit, Beziehungen zu knüpfen. In einem Erzählcafé gibt man vor der Gruppe einen kleinen Teil seiner Geschichte preis. Einige Teilnehmende kannten sich, andere überhaupt nicht. Eine Frau, die Französisch lernt, schien sich wohl dabei zu fühlen, das Wort zu ergreifen, obwohl sie niemanden kannte. Die anderen hörten ihr zu. So werden zwangsläufig Beziehungen geknüpft. Vielleicht werden die Teilnehmenden, die in die Bibliothek kommen werden, eine andere Beziehung zu den Bibliothekarinnen haben, die anwesend waren. Jede Anekdote, die erzählt wurde, hatte eine Resonanz. Der Austausch brachte Erinnerungen zurück, die ich völlig vergessen hatte. Für mich ist es ein Moment der Selbstreflexion, aber gleichzeitig auch des Teilens und der Verbindung. Und das war in der Haltung der Teilnehmenden sichtbar.

Was war neu im Vergleich zu anderen Veranstaltungen, die in der Bibliothek angeboten werden?

So etwas haben wir noch nie gemacht! Und es ist sogar etwas ganz Verrücktes passiert: Während wir uns beim Kaffee austauschten, hat sich eine Lesegruppe gebildet. Das Erzählcafé war für einige Teilnehmende der Auslöser, um einen Leseclub in der Bibliothek zu organisieren. Eine Leserin sagte zu mir: «Kannst du dir das vorstellen? Ich bin gerade dabei, einen Freundeskreis aufzubauen.» Das finde ich erstaunlich. Thema des Erzählcafés war das Lesen, aber es hätte auch etwas anderes sein können. Wichtig ist, dass man etwas von sich preisgibt.

Ich merke es in jedem Erzählcafé, das ich leite, dass jede Person eine Geschichte zu erzählen hat. Man hat immer etwas zu erzählen, es gibt keine Fähigkeiten, die man haben muss.

Das Material ist bereits vorhanden, wir müssen nichts vorbereiten. Man braucht nur ein paar Stühle. Es ist ein supereinfaches Konzept, das man umsetzen kann. Das ist es, was ich so toll finde: Man kommt so, wie man ist. Es gab Teilnehmende mit ganz unterschiedlichen Hintergründen. Das bedeutet, jeder kann mit seiner Geschichte kommen, die alle den gleichen Wert haben. Das ist aussergewöhnlich, ich habe Gänsehaut. Wir organisieren einen Philo-Workshop, der gut funktioniert, aber wir bleiben bei philosophischen Themen. Im Erzählcafé geht es um etwas, das mit Entdecken zu tun hat. Das war für uns etwas völlig Neues.

Ein Problem mit der Kommunikation rund um das Erzählcafé ist, dass man es selbst erlebt haben muss, um wirklich zu verstehen, was es ist. Es ist kompliziert, diesen Moment zu erklären, in dem wir alle zusammen sind, einer Person beim Reden zuhören und dann schweigen. Das passiert im Alltag nicht.

Man muss einfach sagen: Komm, probiere es aus, du wirst sehen! Im Zeitalter der Smartphones, in dem jeder mit gesenktem Blick über einen Bildschirm kommuniziert, ermöglicht es, eine Form des Tête-à-Tête, des Zuhörens und des Respekts wiederzufinden.

Man lernt wieder zuzuhören. Das ist nicht selbstverständlich, aber die Erzählcafés geben mir Hoffnung. Das heutige Erzählcafé war auf 16-Jährige beschränkt, aber man kann die Generationen sehr gut mischen. Kinder haben sehr interessante Dinge zu erzählen, daher ist eine Altersgrenze nicht zwingend erforderlich.

Dies wäre eine gute Möglichkeit, generationenübergreifende Aktivitäten zu fördern. Ich hatte jedenfalls viel Spass bei der Teilnahme. Und die Freude ist noch grösser, weil ich gesehen habe, wie sehr es den Teilnehmenden gefallen hat. Ich denke mir, dass wir etwas beitragen konnten, das vielleicht Sinn macht. Manchmal frage ich mich, was ich in meinem kleinen Rahmen dazu beitragen kann, dass es der Welt ein bisschen besser geht. Das Erzählcafé kann dazu beitragen.

*Evelyne Mertens ist Praktikerin für Lebensgeschichten und Leiterin von Erzählcafés. Sie unterstützt die Westschweizer Koordination des Netzwerks Erzählcafé.

 

Das Biblioweekend ist eine nationale Veranstaltung, welche die Wahrnehmung der Bibliotheken in der Öffentlichkeit und bei den politischen Behörden fördern soll. Jedes Jahr steht ein Wochenende lang das Programm aller Schweizer unter einem bestimmten Motto. Die diesjährige Ausgabe, die vom 28. bis 30. März 2025 stattfand, widmete sich dem Thema «Worte verbinden Welten / Les mots relient les mondes / Le parole uniscono i mondi». Lesen, schreiben, zuhören, erzählen – Worte dienen in erster Linie dazu, unsere Erfahrungen zu teilen. Es gibt kein besseres Thema, um ein punktuelles Erzählcafé in einer Bibliothek zu organisieren.

Bibliothek von Montreux-Veytaux

Im März 2025 findet ein Wechsel in der Co-Geschäftsleitung des Vereins Netzwerk Erzählcafé statt. Vanda Mathis übernimmt von Rhea Braunwalder (bisher) und bildet mit Marcello Martinoni die neue Geschäftsleitung.

Vanda Mathis hat in Vereinen schon gefühlt alle Positionen erlebt: Vereinskoordinatorin, Vorstandsmitglied, Co-Geschäftsleitung oder Geschäftsführerin. Und das hauptsächlich in sozial engagierten Organisationen wie SWISSAID oder dem Verein Hilfe für hirnverletzte Kinder. Wir freuen uns, Vanda im Team des Vereins Netzwerk Erzählcafé zu haben und sind überzeugt, dass ihre Expertise und langjährige Erfahrungen in diesem Bereich eine Bereicherung sind. Herzlich willkommen, Vanda!

Vanda Mathis‘ offizieller Start ist am 17. März 2025 an der Mitgliederversammlung des Vereins. Wir beantworten gerne Ihre Fragen: info@netzwerk-erzaehlcafe.ch

Portrait-Bild einer Person

«Geschichten sind für mich Fenster in andere Leben. Fasziniert davon begleitete ich ältere Menschen für meine Abschlussarbeit auf eine Zeitreise durch ihre Erinnerungen. Mein erstes Erzählcafé, organisiert für Grosseltern von Kindern mit Behinderung, hat mich tief bewegt – Worte wurden zu Brücken, der Austausch zur Stärkung. Wenn ich nicht gerade Erzählungen lausche, findet man mich mit einem Buch in der Hand, dann wachsen Geschichten in meinem Kopf – oder mit einer Schaufel im Garten, wo hoffentlich Gemüse wächst, wenn die Schnecken es nicht vorher entdecken.»

Vanda Mathis 

 

 

Was passiert, wenn zwei Moderierende spontan ein Erzählcafé organisieren und dann Personen dabei sind, die sich störend verhalten? Natalie Freitag erzählt vom Rollenspiel, das sie anlässlich der Intervision 2024 zum Thema «Herausfordernde Momente im Erzählcafé» durchgeführt hat.

Graue Haare, blank liegende Nerven oder Lachkrämpfe: Die rund 12 Teilnehmenden der Intervision vom 31. August 2024 tauschten sich in der Siedlung Irchel in Zürich über schwierige Momente am Erzählcafé aus.

Im Fokus standen Erfahrungen, zum Beispiel wenn jemand eine andere Person beleidigt oder sich respektlos verhält, wenn die ganze Gruppe schweigt oder wenn eine einzige Person viel Raum für sich beansprucht. Die Moderator*innen erzählten, hörten einander zu und suchten nach verschiedenen Lösungsansätzen.

Um spielerisch zu erproben, wie diesen Situationen begegnet werden kann, übte die Gruppe im Rollenspiel. Die gewählte Moderation überlegte sich ein Thema und Fragen, währenddessen sich die anderen Personen in der Gruppe verschiedene Rollen ausdachten, die sie spielen wollten. Ziemlich anspruchsvoll für eine spontane Moderation! Und für einige vielleicht auch ein Déjà-vu.

Im Nachhinein war das Rollenspiel ein Spass und sehr lehrreich: Es zeigte auf, wie kompetent Erzählcafé-Moderierende mit schwierigen Situationen umgehen. Eine Teilnehmerin sagte: «Es hat auch seinen Reiz, ein Erzählcafé zu leiten, das anders herauskommt als geplant. Kein Erzählcafé ist gleich.»

Ein herzliches Dankeschön an Miriam Greuter von der Siedlung Irchel, die uns bei der Organisation des Anlasses unterstützt und in der Siedlung Irchel willkommen geheissen hat!

2023 veranstaltete das Musée d’ethnographie de Genève (MEG) im Rahmen der Sonderausstellung «Être(s) ensemble» vier Erzählcafés zu unterschiedlichen Themen. Sie drehten sich rund um die Kommunikation zwischen verschiedenen Arten von Lebewesen und die Beziehungen zwischen Menschen, Pflanzen und Tieren. Julie Dorner* blickt zurück und gibt ihre Erfahrungen weiter.

Foto: MEG

Interview: Anne-Marie Nicole

Julie Dorner, was ist das MEG?

Das Musée d’ethnographie de Genève ist eine Institution der Stadt Genf, das Sammlungen mit Objekten, Büchern und Dokumenten zu den Kulturen der fünf Kontinente beherbergt. Was das Museum so besonders macht, sind die umfangreichen Sammlungen an Musikinstrumenten und Tonaufnahmen. Das Museum befindet sich im Stadtteil La Jonction und verfügt über mehrere Räumlichkeiten, die für unterschiedliche Zielgruppen als Erlebnisorte dienen können: der Garten, das Café, die Ausstellungsräume, aber auch das Foyer, in dem Aktivitäten, Workshops, Konzerte, Performances usw. stattfinden.

Warum haben Sie für die Sonderausstellung «Être(s) ensemble» Erzählcafés eingesetzt?

Mir persönlich war es immer wichtig, im Anschluss an die Ausstellungen Diskussionsmöglichkeiten anzubieten, um Abstand zu den wissenschaftlichen Konzepten zu gewinnen und Raum für den Austausch über die Erzählungen und Erlebnisse der Menschen zu lassen. Während meiner Ausbildung in Kulturvermittlung sind mir die Erzählcafés begegnet. Das Format ist interessant, weil es einen Rahmen für die Diskussion und den Austausch von Erfahrungen bietet. Und in unserem Fall entspricht es perfekt dem Anliegen der Ausstellung «Être(s) ensemble»: Wir Menschen sind alle mit unserer Umwelt verbunden. Das Erzählcafé bot den Teilnehmenden die Möglichkeit, sich mit ihrer Beziehung zu allen Lebewesen auseinanderzusetzen und ihre Geschichten und Erfahrungen im Zusammenhang mit Pflanzen oder Tieren zu teilen.

Sie haben die «Antenne sociale de proximité» in das Projekt Erzählcafés einbezogen. Warum?

Für das MEG bietet eine Partnerschaft je nach Projekt bereichernde Möglichkeiten. Eine unserer Herausforderungen besteht darin, zu verstehen, wie wir auf das Publikum zugehen und das Museum zu einem Ort der Diskussion und des Austauschs im Quartier machen können. Hier spielt die Frage der Zugänglichkeit eine wichtige Rolle: Das MEG befindet sich in einem sehr belebten und beliebten Quartier und hat ein eher elitäres Image, was es zuweilen unnahbar macht. Die Partnerschaft zwischen dem Sozialdienst und dem MEG ermöglicht es einerseits, Menschen ins Museum zu bringen, die sonst nicht kommen würden, und andererseits unserem Stammpublikum die Möglichkeit zu geben, an einer anderen Art von Veranstaltung teilzunehmen. Auf diese Weise trägt das Museum auch zum Zusammenleben und zum gesellschaftlichen Zusammenhalt im Quartier bei.

Sie haben vier Erzählcafés veranstaltet, jedes zu einem anderen Thema – unsere Beziehung zu Lebewesen, Pflanzen und wir, Tiere und wir, das Zusammenleben und das Glücklichsein. Fanden sie Anklang?

Ja, ich war angenehm überrascht. Die Erzählcafés fanden jedes Mal an einem anderen Ort im Quartier statt. Es haben sehr viele Menschen teilgenommen. Die Erzählungen über die Beziehung zu Pflanzen haben mich unglaublich berührt, obwohl wir anfangs davon ausgingen, dass dieses Thema am wenigsten gut ankommen würde. Bei den Geschichten rund um Tiere haben wir sehr viel gelacht. Ich freue mich sehr über das Interesse und die Begeisterung für diese Art von Treffen und das positive Feedback der Teilnehmerinnen und Teilnehmer.

Gab es bei der Umsetzung dieser Erzählcafés spezielle Herausforderungen?

Die Auswahl der Themen war sicherlich eine grosse Herausforderung. Wir wollten nämlich Themen anbieten, die Lebenserzählungen und den Austausch von Erfahrungen fördern, dabei thematisch aber auch zur Ausstellung passen. Ausserdem war es uns wichtig, allzu theoretische Diskurse und Ideendebatten zu vermeiden. Und es galt auch, unser Publikum zu finden, noch dazu eines, das sich von dieser Art des Austauschs angesprochen fühlt und Lust hat, daran teilzunehmen. Im Museum haben wir versucht, Diskussionsmöglichkeiten anzubieten. Sie waren im Gegensatz zu den geführten Besichtigungen aber nur mässig erfolgreich.

Planen Sie, weitere Erzählcafés anzubieten?

Diese ersten Erzählcafés können als Pilotprojekt betrachtet werden. Wir werden sehen, wie es weitergeht… Wenn wir das Ziel des gesellschaftlichen Zusammenhalts und des Zusammenlebens im Quartier weiterverfolgen wollen, ist das Erzählcafé sicherlich ein Format, das wir in Betracht ziehen könnten. Es müsste dann regelmässig angeboten werden. Wie wir es üblicherweise bei kulturvermittelnden Aktivitäten im Quartier ausserhalb des Museums tun, werden wir auch hier überlegen müssen, wie wir die Erzählcafés stärker mit dem Museum verknüpfen können. Indem es Raum für Diskussion schafft, kann das Museum dabei mitwirken, die sozialen Bindungen zwischen Generationen und zwischen Bevölkerungsgruppen zu fördern.

 

* Julie Dorner hat einen Master in Ethnologie und ist Kulturvermittlerin im MEG.

Das Netzwerk Erzählcafé erarbeitet laufend Leitfäden für Moderator*innen. Diese sollen Sie bei der Themenwahl und bei der Vorbereitung eines Erzählcafés unterstützen. Bisher verfügbar sind:

Entdecken Sie die Leitfäden und geben Sie uns gerne Feedback: info@netzwerk-erzaehlcafe.ch

Wir freuen uns, für unser neues Projekt «Erzählcafés im Alter» auf die finanzielle Unterstützung der Walder Stiftung und der Paul Schiller Stiftung, Zürich zählen zu können:

  • Die Walder Stiftung fördert Projekte, die zu einer optimalen Lebens- und Wohnqualität im Alter beitragen.
  • Die Paul Schiller Stiftung, Zürich unterstützt gemeinnützige Projekte, die eine nachhaltige Entwicklung anstreben, eine integrative Gesellschaft fördern, multiplikative Wirkung haben, aktuell und im allgemeinen Interesse sind.

In den nächsten zwei Jahren werden wir mit relevanten Organisationen im Altersbereich die Erzählcafés in den Pilot-Regionen verankern.

Biografisches Erzählen fördert gerade auch im Alter die Aufrechterhaltung der individuellen Identität und die soziale Teilhabe. Anne-Marie Nicole, Koordinatorin des Netzwerks Erzählcafé in der Romandie (im Bild), berichtet im Magazin Artiset von ihren Erfahrungen mit Erzählcafés in verschiedenen Settings, zum Beispiel im Pflegeheim.

Zum Artikel

Die #Freundschaftsinitiative von Migros-Engagement war erfolgreich: Unter anderem veranstaltete das Netzwerk Erzählcafé mehrere Erzählcafés zum Thema Freundschaft. Die Moderierenden teilen ihr Feedback hier auf dem Schwarzen Brett.

Mehr Einblicke ins Thema gibt auch Sylvia Hablützel im Interview.