Le premier café-récits organisé à la Bibliothèque de Montreux-Veytaux a suscité beaucoup d’intérêt et d’enthousiasme (Bibliothèque Montreux-Veytaux)

Das BiblioWeekend 2025 bot die Gelegenheit, Erzählcafés vorzustellen und die Bedeutung von Bibliotheken als gesellige Orte, die den sozialen Zusammenhalt fördern, hervorzuheben. Das Team der Bibliothek von Montreux-Veytaux entschied sich dieses Jahr dafür, ein erstes Erzählcafé zum Thema «Unsere Lesegeschichten» durchzuführen. Die Direktorin, Laure Meystre, drei Bibliothekarinnen und acht Leserinnen der Bibliothek nahmen daran teil. Im Anschluss stellte sich Laure Meystre einigen Fragen.

Das Gespräch führte Evelyne Mertens*

Dies ist das erste Erzählcafé, das in der Bibliothek von Montreux-Veytaux organisiert wurde. Was hast du erwartet?

Ich hatte vor allem Lust, mich überraschen zu lassen. Ich hatte mich nicht weiter mit der Frage beschäftigt, was passieren würde. Dann merkte ich jedoch, dass ich ein wenig verwirrt war, als die Nutzerinnen und Nutzer nach Informationen zum Erzählcafé fragten. Die Leute schienen sich vorbereiten zu wollen. Die Erklärung, die du mir im Vorfeld geschickt hast, war sehr klar, und ich habe das Gefühl, dass ich genau das erlebt habe. Es ist wichtig, in den Beschreibungen der Animation transparent zu sein, sonst kann es das Publikum abschrecken.

Das BiblioWeekend findet jedes Jahr auf nationaler Ebene statt. Was sind die Ziele der Bibliothek von Montreux-Veytaux?

Unser Ziel ist es, die Türen für die Öffentlichkeit zu öffnen und einen festlichen Moment zu organisieren, einen Moment mit verlängerten Öffnungszeiten, zu dem jedermann kommen kann. Wir bieten drei Tage (Freitag, Samstag und Sonntag), an denen die Bibliothek im Mittelpunkt steht. Einerseits zeigen wir, dass Bibliotheken nicht nur auf das Lesen ausgerichtet sind, sondern auch Orte des Lebens und der Sozialisierung für Gross und Klein sind. Zum anderen macht das BiblioWeekend auch den Behörden bewusst, was wir tun. Wenn alle Bibliotheken auf nationaler Ebene mitmachen, wird unser Animationsprogramm stärker wahrgenommen.

Ausserdem passte das diesjährige Thema perfekt, um ein erstes Erzählcafé zu moderieren. Jetzt, wo du selbst eines erlebt hast: Warum ist es für eine Bibliothek interessant, eine solche Veranstaltung anzubieten?

Das Konzept der Lebensgeschichte ist etwas, das mich anspricht. Es bietet die Möglichkeit, Beziehungen zu knüpfen. In einem Erzählcafé gibt man vor der Gruppe einen kleinen Teil seiner Geschichte preis. Einige Teilnehmende kannten sich, andere überhaupt nicht. Eine Frau, die Französisch lernt, schien sich wohl dabei zu fühlen, das Wort zu ergreifen, obwohl sie niemanden kannte. Die anderen hörten ihr zu. So werden zwangsläufig Beziehungen geknüpft. Vielleicht werden die Teilnehmenden, die in die Bibliothek kommen werden, eine andere Beziehung zu den Bibliothekarinnen haben, die anwesend waren. Jede Anekdote, die erzählt wurde, hatte eine Resonanz. Der Austausch brachte Erinnerungen zurück, die ich völlig vergessen hatte. Für mich ist es ein Moment der Selbstreflexion, aber gleichzeitig auch des Teilens und der Verbindung. Und das war in der Haltung der Teilnehmenden sichtbar.

Was war neu im Vergleich zu anderen Veranstaltungen, die in der Bibliothek angeboten werden?

So etwas haben wir noch nie gemacht! Und es ist sogar etwas ganz Verrücktes passiert: Während wir uns beim Kaffee austauschten, hat sich eine Lesegruppe gebildet. Das Erzählcafé war für einige Teilnehmende der Auslöser, um einen Leseclub in der Bibliothek zu organisieren. Eine Leserin sagte zu mir: «Kannst du dir das vorstellen? Ich bin gerade dabei, einen Freundeskreis aufzubauen.» Das finde ich erstaunlich. Thema des Erzählcafés war das Lesen, aber es hätte auch etwas anderes sein können. Wichtig ist, dass man etwas von sich preisgibt.

Ich merke es in jedem Erzählcafé, das ich leite, dass jede Person eine Geschichte zu erzählen hat. Man hat immer etwas zu erzählen, es gibt keine Fähigkeiten, die man haben muss.

Das Material ist bereits vorhanden, wir müssen nichts vorbereiten. Man braucht nur ein paar Stühle. Es ist ein supereinfaches Konzept, das man umsetzen kann. Das ist es, was ich so toll finde: Man kommt so, wie man ist. Es gab Teilnehmende mit ganz unterschiedlichen Hintergründen. Das bedeutet, jeder kann mit seiner Geschichte kommen, die alle den gleichen Wert haben. Das ist aussergewöhnlich, ich habe Gänsehaut. Wir organisieren einen Philo-Workshop, der gut funktioniert, aber wir bleiben bei philosophischen Themen. Im Erzählcafé geht es um etwas, das mit Entdecken zu tun hat. Das war für uns etwas völlig Neues.

Ein Problem mit der Kommunikation rund um das Erzählcafé ist, dass man es selbst erlebt haben muss, um wirklich zu verstehen, was es ist. Es ist kompliziert, diesen Moment zu erklären, in dem wir alle zusammen sind, einer Person beim Reden zuhören und dann schweigen. Das passiert im Alltag nicht.

Man muss einfach sagen: Komm, probiere es aus, du wirst sehen! Im Zeitalter der Smartphones, in dem jeder mit gesenktem Blick über einen Bildschirm kommuniziert, ermöglicht es, eine Form des Tête-à-Tête, des Zuhörens und des Respekts wiederzufinden.

Man lernt wieder zuzuhören. Das ist nicht selbstverständlich, aber die Erzählcafés geben mir Hoffnung. Das heutige Erzählcafé war auf 16-Jährige beschränkt, aber man kann die Generationen sehr gut mischen. Kinder haben sehr interessante Dinge zu erzählen, daher ist eine Altersgrenze nicht zwingend erforderlich.

Dies wäre eine gute Möglichkeit, generationenübergreifende Aktivitäten zu fördern. Ich hatte jedenfalls viel Spass bei der Teilnahme. Und die Freude ist noch grösser, weil ich gesehen habe, wie sehr es den Teilnehmenden gefallen hat. Ich denke mir, dass wir etwas beitragen konnten, das vielleicht Sinn macht. Manchmal frage ich mich, was ich in meinem kleinen Rahmen dazu beitragen kann, dass es der Welt ein bisschen besser geht. Das Erzählcafé kann dazu beitragen.

*Evelyne Mertens ist Praktikerin für Lebensgeschichten und Leiterin von Erzählcafés. Sie unterstützt die Westschweizer Koordination des Netzwerks Erzählcafé.

 

Das Biblioweekend ist eine nationale Veranstaltung, welche die Wahrnehmung der Bibliotheken in der Öffentlichkeit und bei den politischen Behörden fördern soll. Jedes Jahr steht ein Wochenende lang das Programm aller Schweizer unter einem bestimmten Motto. Die diesjährige Ausgabe, die vom 28. bis 30. März 2025 stattfand, widmete sich dem Thema «Worte verbinden Welten / Les mots relient les mondes / Le parole uniscono i mondi». Lesen, schreiben, zuhören, erzählen – Worte dienen in erster Linie dazu, unsere Erfahrungen zu teilen. Es gibt kein besseres Thema, um ein punktuelles Erzählcafé in einer Bibliothek zu organisieren.

Bibliothek von Montreux-Veytaux

Wir freuen uns, für unser neues Projekt «Erzählcafés im Alter» auf die finanzielle Unterstützung der Walder Stiftung und der Paul Schiller Stiftung, Zürich zählen zu können:

  • Die Walder Stiftung fördert Projekte, die zu einer optimalen Lebens- und Wohnqualität im Alter beitragen.
  • Die Paul Schiller Stiftung, Zürich unterstützt gemeinnützige Projekte, die eine nachhaltige Entwicklung anstreben, eine integrative Gesellschaft fördern, multiplikative Wirkung haben, aktuell und im allgemeinen Interesse sind.

In den nächsten zwei Jahren werden wir mit relevanten Organisationen im Altersbereich die Erzählcafés in den Pilot-Regionen verankern.

Vom 22. Januar bis 28. November 2024 präsentiert Pro Familia Svizzera italiana eine Fotoausstellung mit dem Titel «Familien – die Vergangenheit erforschen, die Zukunft erfinden». Die Ausstellung macht an den grösseren Orten des Tessins Halt und erzählt die Geschichte und die Entwicklung der Familie im Laufe der Jahre. Damit werden die Errungenschaften der Schweizer und Tessiner Familienpolitik gewürdigt.

Text: Valentina Pallucca Forte
Fotos: privat

Als ich von der Fotoausstellung hörte, packte ich die Gelegenheit, als Rahmenveranstaltung ein Erzählcafé vorzuschlagen. Wir wählten das Thema «Die Rollenverteilung innerhalb der Familie», das ich interessant und breit genug fand, um uns gegenseitig Geschichten aus dem Leben zu erzählen. Am 16. April 2024 trafen wir uns in einer kleinen Gruppe von sieben Frauen im Filanda in Mendrisio zum Erzählcafé.

Das Thema erwies sich als herausfordernd, aber auch inspirierend: Vieles hat sich im Laufe der Zeit verändert – und so vieles muss sich noch verändern. Die Anekdoten und Lebensgeschichten waren vielfältig: Die Teilnehmerinnen erzählten von sehr unterschiedlichen Lebenswegen, die alle auf ihre eigene Weise überraschten.

Fotos bieten Inspiration fürs Gespräch

Zur Inspiration wandelten wir durch die Fotoausstellung und verweilten vor den Fotos. Dabei konnten wir wichtige Momente in der Geschichte der Familie nachvollziehen: die Entstehung der ersten Sozialversicherungen um 1900, der Eintritt der Frauen in die Arbeitswelt in den 1920er Jahren, die Einführung der Waschmaschine in jedem Haushalt… Alles sind kleinere oder grössere Revolutionen, die das Alltagsleben der Familien vereinfachten. Jedes Foto regte zum Erzählen an und erinnerte an Episoden aus dem Familienleben einer Zeit, die es heute nicht mehr gibt (Anmerkung der Autorin: Das löste sogar einige Male einen Seufzer der Erleichterung aus!).

Sandra Killer, Projektkoordinatorin von Pro Familia Svizzera italiana, begleitete uns mit grosser Begeisterung und Kompetenz durch die Fotoausstellung. Die Fragen schienen kein Ende zu nehmen, so gross war unsere Neugier auf einige der Themen, die mit der Entwicklung der Familien und insbesondere der Rolle der Frau zusammenhängen.

Wie sieht die Familie in Zukunft aus?

Am Ende des Erzählcafés haben wir uns mit der Frage «Welche Zukunft sehen oder wünschen wir uns für die Familien?» beschäftigt. Jede Teilnehmerin kam zu Wort. Obwohl sich die Situation im Vergleich zu vor einigen Jahrzehnten deutlich verbessert hat, taucht das Thema der Vereinbarkeit von Beruf und Familie heute in einer wichtigen Weise auf: ein Thema, bei dem es oft die Frau ist, die die Hauptlast trägt. Wir waren uns einig: Für die Zukunft erhoffen wir uns mehr Unterstützung für die Vereinbarkeit und eine noch gerechtere Verteilung der Aufgaben. Wir sind zuversichtlich, denn es wurde viel erreicht und wir haben grosses Vertrauen in unsere Töchter und Söhne.

Es war schön, ein paar Stunden mit Menschen zu verbringen, die wir nicht kannten, mit denen wir ein kleines Stück unserer Geschichte teilten, mit denen wir Gemeinsamkeiten oder ganz unterschiedliche Lebensgeschichten entdeckten und uns in einer anregenden und ungezwungenen Umgebung austauschten. Wie immer war das Erzählcafé eine bereichernde und in diesem Fall sogar eine prägende Erfahrung, da wir viele Aspekte des gesellschaftlichen Lebens in unserem Land kennenlernen konnten, die uns bis anhin unbekannt waren.

Fotos und Videos aus dem Archiv

  • Die Fotoausstellung läuft vom 22. Januar bis 28. November 2024. Mehr Informationen
  • Auf historiahelvetica.ch lässt sich herrlich in vergangenen Zeiten schwelgen. Die Plattform zeigt ein Jahrhundert Schweizer Geschichte in Bildern und Videos.

Das Netzwerk Erzählcafé und Migros-Engagement bieten im Rahmen der #Freundschaftsinitiative eine Reihe von Erzählcafés zum Thema «Freundschaft» an. Natalie Freitag, die das Netzwerk Erzählcafé in der Deutschschweiz koordiniert, hat mit Silvia Hablützel gesprochen. Die erfahrene Moderatorin aus Appenzell Ausserrhoden erzählt, was ihr persönlich Freundschaft bedeutet.

Interview: Natalie Freitag
Foto: zVg

Natalie Freitag: Silvia, was bedeutet Freundschaft für dich? Wie wichtig ist dir Freundschaft?

Silvia Hablützel, Fachfrau Pflege und Gesundheit und Moderatorin aus Herisau: Sie ist mir sehr wichtig. Menschen sind mir sehr wichtig. Begegnungen, Austausch haben, zusammen durch die Höhen und Tiefen des Lebens gehen. «Es sind die Begegnungen mit Menschen, die das Leben lebenswert machen»: Dieses Zitat von Guy de Maupassant sagt für mich sehr viel aus.

Hast du eine langjährige Freundschaft? Oder eine ganz neue? Wie und wo kam es zu diesen Freundschaften?

Es gibt alte Freundschaften, die zu einer bestimmten Zeit des Lebens für mich sehr wichtig und intensiv waren, zum Bespiel aus der Zeit der Ausbildung, als wir zusammen Visionen und Träume teilten. Ich habe aus dieser Zeit drei Freunde*innen, die mich durchs Leben begleitet haben. Durch sie habe ich auch meinen Mann kennengelernt, als wir gemeinsam Trauzeug*innen waren an der Hochzeit einer dieser Freundinnen. Mit alten Freunden verbinden mich Geschichten, Erlebnisse und Erfahrungen. Das schweisst zusammen. Es gibt aber auch neue Freundschaften in meinem Leben – das Neue, einander kennenlernen und entdecken können, das ist spannend. Es gibt auch Freundinnen, die ich lange Zeit nicht sehe und keinen Kontakt habe, dennoch bleibt die emotionale Verbindung gegenseitig bestehen und wir wissen, dass wir jederzeit füreinander da sind.

Gab es auch Freundschaften, die mit der Zeit auseinandergingen?

Das gab es auch. Eine Freundschaft endete abrupt, von viel Kontakt zum totalen Kontaktabbruch. Schmerzliche Erfahrungen und Trennungen gehören eben auch zum Thema Freundschaften.

Bist du eine gute Freundin? Was tust du dafür?

Ja, das würde ich sagen. Ich habe ein offenes Ohr, habe Zeit, bin da. Zuhören, laut denken und eine Sparring-Partnerin sein, die auch kritisch ist – im Sinne eines Angebots, Beständigkeit, Vertrauen und Pflege der Beziehung durch Zeichen geben, z.B. Briefe schreiben. Und was mir ganz wichtig ist, zusammen zu lachen.

Erzähl uns noch etwas über dich und deine Arbeit mit dem Erzählcafé!

Seit vier Jahren führe ich in Herisau, Heiden und Stein im Kanton Appenzell Ausserrhoden Erzählcafés durch. Dies im Rahmen meiner Anstellung bei Pro Senectute. Erzählcafés bieten die Möglichkeit, einen Teil meines Auftrags für die Gesundheitsförderung im Alter zu erfüllen. Austausch und Gemeinschaft zu ermöglichen, gegen die Einsamkeit. Es entstehen daraus Begegnungen, manchmal Freundschaften. Man kennt sich im Dorf, wenn man sich trifft, geht zusammen auch Kaffee trinken. Was mir ganz besonders gefällt, ist die Tiefe, die Intensität, die im Erzählcafé möglich wird. Man kommt jemandem in nur ein bis zwei Stunden nahe und teilt sehr Persönliches.

Was ist deine Geschichte, die dir spontan in den Sinn kommt zum Thema Freundschaft?

Das ist eine schöne Geschichte: Es war an einem Erzählcafé zum Thema «auf den Hund gekommen». Eine Frau hatte ihre Nachbarin spontan mitgenommen, da ihr Hund gerade an diesem Morgen eingeschläfert werden musste. Es war auch ein Mann anwesend, dem Hunde sehr wichtig waren. Die beiden lernten sich dort kennen und sind heute ein Paar. Jetzt haben sie sich gerade zusammen einen jungen Hund zugelegt.

Zur Person

Silvia Hablützel ist erfahrene Erzählcafé-Moderatorin. Sie ist Pflegefachfrau HF/BScN und Leiterin des kantonalen Programms «Zwäg is Alter» bei Pro Senectute AR. Suchen Sie eine Moderation für Ihr Erzählcafé? Hier finden Sie Kontakte.

Prof. lic. phil. Johanna Kohn (im Bild) wird im Frühjahr 2024 eine inspirierende Weiterbildung für Moderierende anbieten. Johanna ist Professorin an der Fachhochschule Nordwestschweiz, Mitgründerin des Netzwerks Erzählcafé und eine Koryphäe im Bereich der biografischen Erzählformate. Die Weiterbildung in zwei Modulen und einer Praxisphase richtet sich an Moderierende, die künftig andere Moderierende in ihrer Region begleiten oder Erzählcafé-Einführungskurse anbieten möchten.

Johanna Kohn (Bild: FHNW)

Daten:

Wir starten mit dem ersten Modul am 12./13. Februar 2024 in Olten. Das zweite Modul findet am 24. Mai 2024 online statt. Danach begleitet die Kursleitung Sie für ca. ein Jahr.

Infos:

In diesem Flyer finden Sie alle Informationen zur neuen Weiterbildung.

Kursleitung:

Johanna Kohn mit Unterstützung von Rhea Braunwalder und Natalie Freitag.

Ihre Vorteile:

  • Sie bekommen das Rüstzeug, um eigene Erzählcafé-Einführungskurse in Ihrer Region anzubieten und Moderierende auszubilden.
  • Sie entwickeln Ihre eigene Projektidee und werden dabei von der Kursleitung und der Gruppe unterstützt.

Vergünstigter Preis von CHF 400.- für:

Anmeldung:

Wir freuen uns, wenn Sie mit dabei sind und sind überzeugt, dass diese Weiterbildung Sie auf Ihrem persönlichen Weg als Moderator*in weiterbringt.

Am 15. September 2023 feierte die Schule in Poschiavo den Internationalen Tag der Demokratie. Alle neun Klassen, bestehend aus etwa 130 Schülerinnen und Schülern, versammelten sich zusammen mit ihren Klassenlehrpersonen und einigen Mitgliedern des Jugendparlaments zum Erzählcafé. Es drehte sich um die verschiedenen Facetten der Demokratie. Catia Curti, Leiterin der Sekundarstufe I der Schulen von Poschiavo, teilt ihre Eindrücke von diesem besonderen Tag.

Die Atmosphäre an diesem Freitag, dem 15. September, war geprägt von «Stärke, Intensität und einem Gefühl der Befreiung». So beschrieben die Schülerinnen und Schüler der Mittelschule von Poschiavo das Erzählcafé zum Thema Demokratie. Über anderthalb Stunden lang führten sie lebhafte Gespräche, diskutierten leidenschaftlich, manchmal wurde es laut, und hin und wieder flossen auch Tränen. Die Mitglieder des Jugendparlaments, Drittklässlerinnen und Drittklässler, die sich seit dem letzten Jahr für die Belange der Jugendlichen im Tal einsetzen, wählten ein facettenreiches Thema aus dem Bereich der Demokratie und präsentierten es den einzelnen Klassen.

Was heisst eigentlich Demokratie?

Die Themen reichten vom Recht der freien Meinungsäusserung bis hin zu persönlichen Erfahrungen von Jugendlichen, die sich in ihren Familien, Schulen oder Freundeskreisen nicht immer frei fühlen, ihre Meinung zu sagen und sie selbst zu sein. Es wurde über weltweite und innere Konflikte debattiert, über die wahre Bedeutung von Gleichheit und wie weit wir von ihrer vollen Verwirklichung entfernt sind, sei es im globalen Multikulturalismus oder in unserer kleinen, lokalen Realität. Die Diskussionen reichten von der Bedeutung der Wahl von Vertretern bis hin zur Wahl der Mitglieder des Jugendparlaments in der Schule und sogar zu Vorschlägen zur Förderung kultureller Initiativen im Unterricht. Die jungen Menschen überlegten auch gemeinsam, was als öffentliches Gut betrachtet wird und welche Pflichten jede und jeder Einzelne hat, um das zu bewahren und zu respektieren, was allen gehört.

Jede Klasse, jede Gruppe und jede*r Schüler*in hatten die Möglichkeit, ihre Gedanken und Gefühle auszudrücken. Sie sprachen über Themen, die sehr relevant sind, aber wenig zur Sprache kommen. Die Schülerinnen und Schüler haben das Gespräch mit grosser Reife und Überzeugung geführt. Das Erzählcafé war ein grosser Erfolg, und viele haben bereits gefragt, wann das nächste stattfinden wird.

Oft neigen wir dazu zu denken, dass das Plaudern in der Hektik des Alltags Zeitverschwendung ist. In Wahrheit handelt es sich jedoch um eine eine nützliche und gesunde Praxis. Es liegt in der Natur des Menschen, sich auszutauschen, Meinungen zu teilen und zu diskutieren. Und was ist dazu besser geeignet als ein Erzählcafé? Es ist eine wunderbare Form, um über das zu sprechen, was die Menschen glücklich und frei macht: Demokratie!

Catia Curti, Leiterin der Sekundarstufe I der Schulen von Poschiavo

Nino Züllig wanderte in jungen Jahren von Georgien nach Deutschland aus. Seit 2014 lebt sie in Basel und arbeitet als Dolmetscherin. Die Erzählcafé-Moderatorin führte mit HEKS beider Basel interkulturelle Erzählcafés durch. Menschen aus der Ukraine und Georgien haben über ihre Heimat und das Leben in der Schweiz gesprochen.

 

Erinnerst du dich an dein erstes Erzählcafé?

Nino Züllig: Ja klar! HEKS beider Basel wollte im Rahmen des Projekts AltuM – Alter und Migration älteren, zugewanderten Menschen Erzählcafés anbieten. Da ich schon länger für HEKS dolmetsche, wussten sie, dass ich Russisch spreche. Im Frühling 2022 war mein erstes Erzählcafé. Es kamen Geflüchtete aus der Ukraine und ein georgisches Ehepaar aus meinem Bekanntenkreis.

Warum habt ihr das Erzählcafé auf Russisch angeboten?

Viele Menschen in der Ukraine sind zweisprachig und sprechen neben der ukrainischen Muttersprache auch Russisch. In Georgien können sich meist die älteren Leute noch auf Russisch verständigen. Russisch bot sich als unsere gemeinsame Sprache an.

Wie fühlt sich ein Erzählcafé auf Russisch für eine Ukrainerin an?

Ich war mir bewusst, dass ich sehr vorsichtig sein muss, wenn ich ein interkulturelles Erzählcafé auf Russisch anbiete. Man kann die Politik nicht ignorieren. Normalerweise ist ein Erzählcafé etwas Entspanntes und Angenehmes. Bei meinem Setting schwingt der Krieg immer mit. Als Moderatorin muss ich viel Fingerspitzengefühl haben, damit das Gespräch im ruhigen, friedlichen Rahmen bleibt und die Leute sich wohlfühlen. Und zwar diejenigen, die gerne Russisch sprechen, als auch diejenigen, die die Sprache nicht mögen. Ich glaube, ich erfahre viel Akzeptanz, weil ich aus Georgien stamme und beide Seiten verstehe.

Was ist dein Tipp?

Oft kommt es vor, dass eine Ukrainerin während des Erzählcafés eine Nachricht von ihrem Mann im Krieg bekommt und abgelenkt ist. Ich verstehe, dass sie dann darüber reden will. Als Moderatorin muss ich darauf eingehen und es annehmen, aber dann doch zurück zum eigentlichen Thema finden. Das Erzählcafé soll ein Ort der Entspannung sein, wo man über etwas anderes reden kann. Mein Tipp an Moderierende: Das Thema langsam und vorsichtig wechseln.

Deine Lieblingsthemen?

Mein erstes Thema war «Ich in der Schweiz». Die Gruppe hat darüber sinniert, wie sie sich hier fühlen, wie es früher war und mit welchen Schwierigkeiten sie kämpfen. Ich habe dann ein anders Thema identifiziert: «Gut und günstig leben in der Schweiz». Da kam ein sehr ideenreicher Erfahrungsaustausch zustande. Als ich in den normalen Rhythmus kam, wählte ich auch fröhliche Themen wie «Schön und modisch».

An dein Erzählcafé kommen vor allem Menschen 55+. Was beschäftigt sie?

Die deutsche Sprache ist das Hauptthema. Ältere Menschen lernen nicht mehr so leicht. Je älter man wird, desto schwieriger ist Migration. Man kommt an einen Ort, wo man die Sprache nicht spricht, die Kultur nicht kennt, ins Ungewisse geht. Ich mache diese Erzählcafés von Herzen, weil ich die Sorgen der Menschen gut nachvollziehen kann.

Was hat dich am meisten überrascht?

Es gibt immer wieder Aha-Erlebnisse. Egal, wo die Menschen aufgewachsen sind, einige Dinge sind überall gleich. Wir haben einmal ein Erzählcafé mit Menschen aus der Schweiz, der Ukraine und Georgien durchgeführt. Dabei haben wir gemerkt, dass sie alle als Kind ähnliche Sachen gespielt haben und sogar ähnliche Lieblingsessen hatten. Mein Fazit: Die Welt ist klein, wir sind gar nicht so unterschiedlich.

Bild: Nino Züllig hat am Erzählcafé das Guetzlibacken zum Thema gemacht.

Zur Person

Nino Züllig studierte in Georgien Deutsch und zog schon jung nach Deutschland. 2014 folgte sie ihrem Mann nach Basel. Sie arbeitet als interkulturelle Dolmetscherin und veranstaltet regelmässig Erzählcafés. In ihrer Freizeit ist sie am liebsten mit ihrer Familie in der wilden Natur unterwegs.

Interkulturelle Erzählcafés

Seit 2022 bietet die HEKS Geschäftsstelle beider Basel im Rahmen des Projekts AltuM – Alter und Migration Erzählcafés an. Sechs interkulturelle Vermittelnde bildeten sich bei Johanna Kohn weiter und bieten seitdem Erzählcafés in verschiedenen Sprachen an. Im 2023 werden die Erzählcafés fortgeführt. Sie sind thematisch verknüpft mit anderen Angeboten von AltuM beider Basel.

 

Interview: Anina Torrado Lara

Das Netzwerk Erzählcafé war im Juni 2022 zu Gast im Schlossgarten Riggisberg. Die Erzählcafé-Moderatorin Nisha Andres erzählt, wie sie über Erzählcafés die Bewohnenden und die Dorfbevölkerung zum ungezwungenen Austausch an einen Tisch bringt.

Interview: Anina Torrado Lara

Im idyllisch gelegenen Schlossgarten Riggisberg leben rund 270 Bewohnerinnen und Bewohner.

Welchen Bezug haben Sie zu Erzählcafés?

Nisha Andres: Beim Schlossgarten Riggisberg haben wir bereits vor der Pandemie erste Erfahrungen mit Erzählcafés gesammelt. Deshalb hat es uns besonders gefreut, dass das Werkstattgespräch vom 2. Juni 2022 bei uns zu Gast war! Ich moderiere selber Erzählcafés und finde die Methode sehr gut geeignet, um sich ungezwungen zu treffen und Barrieren in den Köpfen abzubauen.

Wie tun Sie das im Schlossgarten?

Inklusion ist unsere Kernkompetenz. Der Schlossgarten ist nur eine kurze Entfernung vom Dorf Riggisberg entfernt und bietet viele Anknüpfungspunkte, um in Kontakt zu kommen: Vom Eggladen über das Restaurant Brunne bis zu Veranstaltungen wie dem Ostermärit, dem Open Air Kino oder dem Sommerfest bieten wir ein grosses Angebot. Unser Konzept ist darauf ausgelegt, Barrieren abzubauen. So kommen Schülerinnen und Schüler ganz selbstverständlich zum Schwimmunterricht, einige Kinder aus dem Dorf besuchen unsere Kita und wir bieten selber hergestellte Produkte auf den Märkten an. Einige Dorfbewohner*innen haben leider immer noch Hemmungen, mit Menschen in Kontakt zu treten, die vermeintlich anders sind.

Wie gehen die Bewohnenden mit diesen Barrieren in den Köpfen um?

Eine unserer Bewohnerinnen sagte einmal: «Es braucht einfach einen ersten Satz, ein erstes Lächeln, um Barrieren abzubauen.» Wir arbeiten jeden Tag daran, den Austausch aktiv zu fördern. Das gelingt auch an den Erzählcafés gut, denn sie ermöglichen es, eine höfliche, respektvolle und offene Kommunikation zu pflegen.

Was haben Sie vom Werkstattgespräch mitgenommen?

Es war ein sehr schöner Tag, an dem Inklusion auf einem hohen Niveau gelebt wurde. Es kamen so viele interessante Menschen und wir freuten uns über Gastbeiträge von Johanna Kohn und Gert Dressel. Mit dabei waren auch taubstumme Menschen mit Dolmetscher*innen, Personen im Rollstuhl und Bewohner*innen des Schlossgartens mit psychischen Erkrankungen. Einer der Bewohner sagte: «Ich hätte nicht gedacht, dass man mit taubstummen Menschen so intensiv ins Gespräch kommen kann! Ich habe realisiert, dass es noch andere Menschen mit einer Beeinträchtigung gibt.»

Ihr persönlicher Tipp fürs Erzählcafé?

Keine Angst davor haben, etwas Falsches zu sagen! Auch mir geht es manchmal so, dass ich unsicher bin. Ich möchte andere ermuntern, zu ihrer Unsicherheit zu stehen und ehrliche Gedanken zu formulieren. Nicht viel überlegen, sondern einfach fragen: «Ich bin mir gerade unsicher, wie darf ich dich nennen?» oder «Soll ich die Dolmetscherin oder die Person anschauen, die gerade redet?». Als Moderatorin habe ich auch die Aufgabe, den Elefanten im Raum anzusprechen. Dann sage ich manchmal: «Ich nehme gerade eine Irritation wahr, geht’s euch auch so?».

Der Schlossgarten Riggisberg war Gastgeber für die Werkstatttagung des Netzwerks Erzählcafé (Foto: Rhea Braunwalder)

Schlossgarten Riggisberg

Im Schlossgarten Riggisberg leben rund 270 Bewohner*innen mit einer psychischen und/oder körperlichen Beeinträchtigung. 350 Mitarbeitende sind beschäftigt. Die Bewohnenden können an einem Beschäftigungsplatz in den Betrieben mitarbeiten: Im Werkhaus werden Versände vorbereitet, Wahl- und Stimmunterlagen eingepackt oder Produkte fabriziert. Eine Gärtnerei pflegt die Liegenschaft und zieht Kräuter. Auch die Mitarbeit in der Küche, im Restaurant oder im Glaswerk werden geschätzt. Kreativität kann in Ateliers, der Manufaktur und in der niederschwelligen Arbeitsintegration gelebt werden.

Zur Person

Nisha Andres (Foto: zVg)

Nisha Andres ist seit 2016 Teil des Schlossgartens Riggisberg. Als Fachverantwortliche Beratung und Integration ist sie Ansprechperson für Bewohnende und Mitarbeitende, die herausfordernde Situation erleben. Nach ihrer Ausbildung zur Detailhändlerin bildete sie sich berufsbegleitend zur Sozialpädagogin weiter. Seit 2002 ist sie in verschiedenen sozialen Institutionen tätig. Sie hat viel Erfahrung im Umgang mit Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung, psychischen Erkrankungen und in palliativen Situationen.

Über ein Erzählcafé lässt sich zweifellos sagen, dass es intensiv, bewegend, berührend, heiter, fröhlich oder ernst war. Aber darf man auch urteilen, dass es erfolgreich oder – im Gegenteil – nicht erfolgreich war? Von einem Misserfolg zu sprechen, würde das nicht bedeuten, die Qualität der ausgetauschten Erzählungen in Frage zu stellen? Ein persönlicher Erfahrungsbericht.

 

Text: Anne-Marie Nicole, Koordinatorin Suisse romande

Anfang Dezember 2021 hat das Musée Ariana in Genf das partizipative und Wochenende «L’art pour tous, tous pour l’art» organisiert. Es stand ganz im Zeichen der Inklusion und der Vielfalt der Teilnehmenden. Das angebotene Kulturprogramm sollte die Pluralität der Sichtweisen fördern. In diesem Rahmen wurden zwei Erzählcafés angeboten. Bereits in der Vergangenheit fanden auf Initiative der Kulturvermittlerin Sabine Erzählcafés im Museum statt. Das Musée Ariana hat dem Publikum die Museumsräume und einen Rahmen für Gespräche zur Verfügung gestellt.

«Es stellte sich plötzlich Enttäuschung ein»

Dieses Mal ging es am Erzählcafé ums Thema «Plaisirs et déplaisirs». Es bot den Teilnehmenden die Möglichkeit, von kleinen Freuden zu erzählen, die für sie das Leben ausmachen und die sie wie Prousts Madeleine in die Gerüche und Gefühle ihrer Kindheit zurückversetzen. Und da dieses Wochenende dazu gedacht war, die Wahrnehmungsfähigkeiten zu trainieren, sollte das Thema auch dazu einladen, von sensorischen Erinnerungen und Erfahrungen zu erzählen: sinnliche Genüsse und Verdrüsse, Mögen und Nichtmögen, gute und schlechte Gerüche, Sehsinn und Hörsinn, die Freude bereiten können, manchen Menschen aber verwehrt sind.

Nach dem ersten Erzählcafé am Samstag, an dem etwa ein Dutzend Personen mit und ohne Beeinträchtigung teilgenommen hatten, stellte sich bei uns Moderatorinnen und Vermittlerinnen Enttäuschung ein. Wir hatten das Gefühl, dass die Veranstaltung etwas zusammenhanglos und bruchstückhaft war. Wir hatten noch die vorherigen, reichen und bewegenden Erzählcafés in Erinnerung, an denen die einzelnen Geschichten ganz natürlich ineinander übergingen und von den Teilnehmenden aufgegriffen wurden. In diesem Fall jedoch waren wir enttäuscht, und dies trotz einiger reicher Geschichten und der Übersetzung in Gebärdensprache. Was hat da nicht richtig funktioniert?

Was lief schief?

Wir haben dann zusammen versucht, die Ursachen zu identifizieren. Schnell waren wir uns einig, dass diese einerseits bei den externen Bedingungen und andererseits bei der Vorbereitung des Erzählcafés zu suchen sind. Hier die Erkenntnisse:

  • Das Umfeld. Bei der Organisation des Erzählcafés mussten wir die COVID-19-Schutzmassnahmen berücksichtigen. Aus diesem Grund wurde der grosse Raum gut gelüftet, weswegen es allerdings relativ kühl war und die Teilnehmenden ihre Mäntel nicht auszogen. Die Stühle wurden kreisförmig mit grossem Abstand angeordnet, wodurch sich keine vertraute, gemütliche Atmosphäre einstellen konnte. Durch das Tragen der Maske war es teilweise schwierig, die Erzählungen zu verstehen. Das Zuhören und die Aufmerksamkeit wurden durch Geräusche anderer Aktivitäten im Museum gestört, ebenso wie durch das Kommen und Gehen im Raum selbst; denn manche Personen kamen zu spät und wussten deshalb nicht über den Ablauf und die Verhaltensregeln eines Erzählcafés Bescheid. Aufgrund der Schutzmassnahmen mussten wir zudem auf den informellen «Café»-Teil verzichten, der jedoch für das Knüpfen von Beziehungen wichtig ist.
  • Die Vorbereitung. Nachdem ich darüber nachgedacht habe, muss ich gestehen, dass ich den Kontext, in dem die beiden Erzählcafés stattfanden, aus den Augen verloren habe. Anstatt den Fokus auf die sensorischen Erfahrungen zu legen, die die Teilnehmenden während des Tages im Museum gemacht hatten, und sie mit vergangenen Erinnerungen und Ereignissen in Verbindung zu bringen, habe ich das Thema «Plaisirs et déplaisirs» zu breit behandelt. Dies erklärt gewiss den mitunter zusammenhanglosen Ablauf und zweifellos auch den Frust mancher Personen darüber, dass sie ihre Entdeckungen und Eindrücke vom Tag selbst nicht teilen konnten.
  • Die Gruppe. Die Zielgruppe war sehr breit: Personen mit körperlicher oder psychischer Beeinträchtigung, ihre Angehörigen und Begleitpersonen. Rückblickend denke ich, dass ich bzw. wir stärker an der integrativen Dimension des Erzählcafés hätten arbeiten sollen, zum Beispiel durch das Einbeziehen einer Person mit Beeinträchtigung bei der Moderation des Erzählcafés.

Aus Fehlern gelernt

Für das zweite Erzählcafé haben wir Anpassungen – hauptsächlich logistischer Art – vorgenommen. So haben wir zum Beispiel die Tür zum Raum geschlossen, sobald wir begonnen haben. Später haben wir auch über die Vorbereitung des Themas und den Umgang mit der Vielfalt der Teilnehmenden nachgedacht. Die Moderatorinnen und Vermittlerinnen hatten sich bereits im Vorfeld ausgetauscht und sich Gedanken gemacht.

Diese Erfahrung hat mich gelehrt, dass jedes Erzählcafé einzigartig ist, seinen eigenen Rhythmus, seine eigene Dynamik und seine eigene Atmosphäre hat. Mir wurde klar, dass es nicht nur wichtig ist, einen gemütlichen, geselligen und sicheren Ort zu wählen, sondern auch, dass eine gute Vorbereitung essenziell ist: Man sollte sich die Zeit nehmen, über das gewählte Thema nachzudenken, zunächst in Bezug auf sich selbst, aber auch in Bezug auf das erwartete Publikum. So kommt das Gespräch besser in Gang und fliesst wie von alleine.

 

Zum erfolgreichen Erzählcafé

Erzählungen können nicht beurteilt oder bewertet werden. Sie sind weder gut noch schlecht, weder richtig noch falsch. Sie sind ganz einfach Erzählungen. Die Ursachen für ein «misslungenes» Erzählcafé liegen meist bei der Vorbereitung, der Vorkenntnis, dem Empfang der Teilnehmenden oder dem Umfeld. Der praktische Leitfaden des Netzwerks Erzählcafé unterstützt Moderator*innen und Veranstalter*innen bei der Vorbereitung und Durchführung von Erzählcafés.

Die Erzählcafé-Moderatorin Lilian Fankhauser liebt Geschichten aus dem Leben. Sie hat mit sechs Studienkolleginnen den Verein zur Förderung lebensgeschichtlichen Erzählens gegründet. Sie sagt, wie man schüchterne Menschen aus der Reserve lockt, und warum es glücklich macht, Erinnerungen zu teilen.

 

Interview: Anina Torrado Lara
Foto: zVg

Wie kamen Sie zum lebensgeschichtlichen Erzählen?

Lilian Fankhauser: Der CAS «Lebenserzählungen und Lebensgeschichten» an der Universität Fribourg hat mich auf diesen Weg geführt. In diesem fantastischen Lehrgang habe ich gelernt, wie man anderen Menschen Erzählraum zur Verfügung stellt und sie ermuntert, ihre Erinnerungen zu teilen. Sechs Alumnae und ich haben danach den Verein zur Förderung des lebensgeschichtlichen Erzählens gegründet, um uns zu vernetzen und im Austausch zu bleiben.

Wie ermuntern Sie schüchterne Menschen, ihre Erlebnisse zu teilen?

Es gibt Moderationstechniken. Wie im Journalismus kann man die Fragen etwas anders als gewohnt formulieren. Ich frage zum Beispiel nicht, welche Länder eine Person bereist hat, sondern: Wie hast du dich gefühlt, als du zum ersten Mal im Ausland warst? Wer war dabei? Es geht nicht um die Reiseroute, sondern um Gefühle, Erlebnisse, das Emotionale.

In unserer leistungsorientierten Gesellschaft sicher keine leichte Aufgabe.

Das stimmt. Eingefahrene Erzählmuster müssen durchbrochen werden. Viele sind sich gewohnt, ihren Karriere-Lebenslauf zu erzählen. Beim lebensgeschichtlichen Erzählen geht es aber um viel mehr: um Emotionen und Erfahrungen, die wir im Leben gesammelt haben. Wir brauchen das Erinnern, um Dinge einzuordnen, die wir hören, sehen oder tun.

In welcher Form kann lebensgeschichtliches Erzählen stattfinden?

Es gibt neben dem Erzählcafé sehr viele Variationen. Eine Theaterregisseurin hat beispielsweise mit der Brauerei Cardinal ein Stück inszeniert, als diese schliessen musste. Die Mitarbeitenden haben ihre Gefühle nachgespielt und so den Abschied verarbeitet. Christian Hanser hat einen alten Schäferwagen zu einer Schatzkiste voller Holzspielzeuge aus der Kindheit umgebaut. Wer will, kann zum Spielen kommen und in Erinnerungen schwelgen. Eine Filmerin arbeitet mit dementen Menschen im Altersheim. Das Playback-Theater Tumoristen in Berlin hilft Menschen, die an einem Tumor leiden, sich mit ihren Gefühlen auseinanderzusetzen. Alle diese Formen des Erzählens und Erinnerns sind sehr wohltuend.

Was löst das Erzählen im Innersten aus?

Das Erzählen stellt Nähe und Respekt zwischen Menschen her. Zum Beispiel am Erzählcafé: Die Teilnehmenden verbringen ihre Zeit mit anderen, können ihre Gedanken ordnen und es geniessen, wie aus einzelnen Erinnerungen ein Erzählstrang entsteht. Nach einem Erzählcafé bin ich zwei Tage lang glücklich, denn ich habe so schöne Geschichten von Leuten erfahren, die ich vorher nicht kannte.

Schreiben Sie Geschichten auch auf?

Ja, ich habe beispielsweise die Biografie meiner Schwiegermutter aufgeschrieben. Wir haben die gemeinsame Zeit des Erzählens und Zuhörens sehr genossen. Herausgekommen ist ein kleines Buch, das ich ihr geschenkt habe. Das mündliche Erzählen gefällt mir aber nach wie vor am besten, denn es hat eine gewisse Leichtigkeit. Man muss nicht immer alles schriftlich festhalten. Diese Leichtigkeit des Mündlichen zieht gerade Frauen stark an.

A propos: Warum kommen mehr Frauen an Erzählcafés als Männer?

Diese Beobachtung habe ich als Moderatorin auch gemacht. Ich denke, dass Frauen sich in einem Raum wohlfühlen, in dem es nicht darum geht, sich zu profilieren. Sie schätzen es, dass es beim Erzählcafé ums Gemeinsame, um ein Thema geht und nicht darum, welche Geschichte am interessantesten ist.

Was sind die Ziele des neu gegründeten Vereins zur Förderung lebensgeschichtlichen Erzählens?

Wir Gründungsmitglieder haben festgestellt, dass die Methode des lebensgeschichtlichen Erzählens in der Gesellschaft viel zu wenig bekannt ist – und dass der Wert des Zuhörens im Alltag sehr oft unterschätzt wird. Das möchten wir ändern – und möglichst viele lebensgeschichtliche Projekte unterstützen und sichtbar machen. Wir organisieren deshalb zahlreiche Veranstaltungen, so zum Beispiel ein Thementreffen am 19. März 2022 zur Erarbeitung einer Biografie im Zwiegespräch: Lebensgeschichten von «öffentlichen Personen».

Zur Person

Lilian Fankhauser ist Gleichstellungsbeauftragte an der Universität Bern. Sie engagiert sich nebenberuflich als Moderatorin im Netzwerk Erzählcafé Schweiz und leitet Workshops zu den theoretischen Grundlagen und Methoden lebensgeschichtlichen Erzählens.

Nach dem Nachdiplomstudium «Lebenserzählungen und Lebensgeschichten» an der Universität Fribourg hat sie zusammen mit anderen Alumnae den Verein zur Förderung lebensgeschichtlichen Erzählens gegründet. Auf der Webseite publizieren sie Veranstaltungen, geben Tipps und vernetzen die Mitglieder. Sie beraten und coachen andere Institutionen und dokumentieren auf Wunsch das Leben einer Person.

 

Lesetipp: Heilende Wirkung von Erzählcafés
Kerstin Rödiger, Seelsorgerin am Universitätsspital Basel und langjährige Erzählcafé-Moderatorin, schreibt in einem Artikel, wie sie die Methode des Erzählcafés im Spital einsetzt.